Montag, 1. April 2013

Tag 1: Feldkirch - Appenzell

Von Feldkirch nach Appenzell
Distanz: 27,7 KM
Unterkunft Appenzell: Kloster Maria der Engel 

Der Wecker klingelt um 06:30. Das Thermometer zeigt nur wenige Grad über Null an. Der Winter war hart dieses Jahr und kämpft auch jetzt noch um seine Vorherrschaft. Erst langsam werde ich munter und begreife: heute ist mein erster Tag als Pilger! Mein Rucksack steht neben mir, am Schreibtisch angelehnt - er scheint nur so auf seinen Träger zu warten. Viele Male wurde er aus-, um- und überhaupt neu gepackt. Jedes Utensil meiner Ausrüstung hat am richtigen Platz zu sein. Für die nächsten 3 Monate sollte er zu meinem besten Freund werden. Die Jakobsmuschel hing gut sichtbar auf der Rückseite meines Rucksackes. Ich hatte sie gut fixiert, wollte nicht, dass sie zu stark baumeln würde. Ich kann bereits vorwegnehmen, sie blieb bis zum Ende meiner Pilgerreise unversehrt. Sie hängt jetzt am Bilderrahmen meiner Camino-Fotocollage. Still und stumm, dabei muss sie doch so viel gesehen haben...

Der Weg zum Illspitz
Über mir wohl bekannte Straßen, Gassen und Brücken lief ich dick eingepackt ins Stadtzentrum von Feldkirch, wollte ich doch bei meinem heimatlichen Dom um eine gute Pilgerschaft "ansuchen". Der Ill folgend wanderte ich anschließend immer weiter stadtauswärts Richtung Meiningen. Beim dortigen Grenzübergang sollte ich dann auf den von Rankweil kommenden Appenzellerweg treffen. Lange Zeit begegnete mir kein Mensch an diesem sonnigen, jedoch sehr kalten Ostermontag. Mein Hals war sehr dick - ich war weder mutig noch zielstrebig an jenem Morgen. Von zahlreichen Selbstzweifeln umgarnt lief ich wie von einem Programm gesteuert, roboterhaft bis zum "Illspitz".
Der mächtige Rhein begleitete mich die letzten Meter auf heimatlichem Boden. Auf der österreichischen Seite der Rheinbrücke dann der erste Wegweiser mit dem blauen Jakobsmuschelsymbol - ich war nun also am offiziellen Camino angekommen. Ich überschritt die Brücke und passierte die verwaisten Zollhäuschen. Nichts deutete auch nur irgendwie auf einen Grenzverlauf hin. Lediglich der mächtige Rhein ließ in mir das Gefühl aufkommen, jetzt eine Grenze überschritten zu haben. Ich kam mir vor, wie ein Hobbit aus J. R. R. Tolkiens "Herr der Ringe", der erstmals die Grenze seines heißgeliebten Auenlandes überschreitet. 
Obwohl ich aufgrund der unmittelbaren, nachbarschaftlichen Nähe der Schweiz schon den ein oder anderen Besuch abstattete, war mir jener Teil der Eidgenossenschaft doch noch gänzlich fremd.  

Idyllischer Brunnen auf dem Weg nach Appenzell
Über Riedlandschaften und vorstädtische Siedlungen ging es relativ schnell erstmals bergauf. Immerhin 600 Höhenmeter würde ich an meinem ersten Tag zu bewältigen haben. Und das mit dem ungewohnten Gewicht am Rücken und relativ untrainiert. Nach der Ortschaft Freienbach kam dann noch der liegen gebliebene Schnee hinzu. Mir war schon relativ früh klar, dass ich zu Beginn meiner langen Reise froh sein musste, die im Führer angegebenen Zeiten irgendwie erreichen zu können. In der Freienbacher Kirche lag mein erster "verdienter" Pilgerstempel auf. Ich wollte versuchen, jeden Tag zumindest einen Stempel für meinen Pilgerpass zu finden. Zum einen, um dann in Santiago glaubhaft machen zu können, dass ich tatsächlich die ganze Strecke zu Fuß gelaufen bin, zum anderen sollten mir die Stempel nach meiner Rückkehr auch helfen, meinen Weg zurückverfolgen zu können. Hatte ich im Rheintal noch herrlichen Sonnenschein, so verdeckten jetzt dicke Wolken den Himmel. Ich sollte von nun an für sehr lange Zeit keine Sonne mehr zu Gesicht bekommen. Über Churzstuck und Neuenalp machte ich weiter Höhenmeter und kam schließlich zur kantonalen Grenze St. Gallen und Appenzell. Über das 1016 Meter hoch gelegene Bildstein kam ich nach Eggerstanden. In einer sehr betriebsamen Gastwirtschaft aß ich eine Suppe. Es war ja Feiertag und ich hatte das Gefühl, dass dies im Appenzell von vielleicht noch größerer Bedeutung war, als etwa bei mir zu Hause. 

Pfarrkirche St. Mauritius in Appenzell
Um kurz vor 16:00 erreichte ich Appenzell. Müde aber auch glücklich. Ich passierte die Appenzeller Brauerei und gelangte schnell in die von Bürgerhäusern dominierten Altstadt. Meine erste Pilgerunterkunft war inmitten des Stadtzentrums und leicht zu finden. Das Verwalterehepaar des Kloster "Maria der Engel" erwartete mich bereits. Auch Margrit ist da. Die junge Frau soll in Zukunft im Kloster mithelfen und hatte mit mir ihren ersten "Kunden". Ich bezog meine kleine Klosterzelle. Nachdem ich mich gewaschen hatte, ging es noch ans Wäschewaschen. Danach bekam ich von Margrit eine Führung durch das ehemalige Kapuzinerinnenkloster. In unmittelbarer Nähe zum Kloster fand ich eine kleine Pizzeria mit vernünftigen Preisen. So gut hatte mir schon lange nichts mehr geschmeckt. Bereits um 19:00 lag ich im Bett meiner Klosterzelle. Ein Utensil hatte ich zu Hause vergessen: Meinen kleinen, leisen Reisewecker. Und so bat ich darum, mich am Morgen zu wecken, sollte ich das auf 07:00 angesetzte, gemeinsame Frühstück verschlafen. Ich schrieb noch ein paar Zeilen in meinem Camino-Tagebuch, ehe ich sehr schnell in einen tiefen Schlaf verfiel... 

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