Montag, 8. April 2013

Tag 8: Flüeli-Ranft - Brienzwiler

Von Flüeli-Ranft nach Brienzwiler
Distanz: 25,8 KM
Unterkunft Brienzwiler: Pilgerherberge
 

Der Camino zwischen Flüeli-Ranft und
Brienzwiler
Ich wache auf - es ist nach wie vor furchtbar kalt - das kann nicht mehr gesund sein. Mit warmer Mütze auf dem Kopf war es noch irgendwie auszuhalten. Meine gestern noch gewaschenen Kleider wurden natürlich nicht trocken. Ziemlich schwach und starr wie ein Stück Holz packe ich meine sieben Sachen zusammen und gehe zum Haupthaus, wo ich bereits zum Frühstück erwartet wurde. Die Hofherrin hat mit dem Nachwuchs zu tun, es kommt daher zu keinem Gespräch. Da ich aber nichts Positives über vergangene Nacht hätte sagen können, ist es vielleicht auch besser so. Sie erwähnt nur, dass neulich Pilger da waren, die aufgrund der Kälte im unteren Aufenthaltsraum übernachtet hätten. Sie weiß jedoch leider nicht, welches Endziel die Pilgergruppe hatte. Genf oder doch vielleicht Santiago? Freiwillig bei winterlichen Verhältnissen "nur" bis Genf pilgern zu wollen, erscheint mir widersinnig. Da könnte man doch leicht auf wärmere Tage warten. Ich frühstücke nicht sehr viel, musste einen Meldezettel ausfüllen und mach mich wieder auf den Weg. Ich bin jetzt bereits über eine Woche auf dem Camino. Gerade Situationen wie vergangene Nacht lassen mich schon des Öfteren ob der Sinnhaftigkeit meines Unterfangens nachdenken. Mein Knie schmerzte heute einigermaßen und der Brünigpass stand heute eventuell auch noch auf dem Programm. Bei den größeren Steigungen tat ich mir heute ausnehmend schwer. ich fühlte mich sehr schwach an diesem Dienstag. Auf dem Weg zum Brünigpass lag sehr viel Schnee. Das Vorankommen war mühsam. Auf dem Weg passierte ich auch ziemlich überraschend eine kleine Pilgerstelle, wo auch ein Buch aufgelegen ist. Eine Pilgerin mit Namen Christa schreibt dort von der Pilgerherberge in Brienzwiler, wo sie sehr nett aufgenommen worden ist. Ich bin sehr dankbar über diese Information. Nach der vergangenen Nacht würde ich mich über eine schöne Unterbringung und über Kontakt mit netten Menschen sehr freuen. Christa ist in Brienzwiler umgedreht und hat den Camino scheinbar in die andere Richtung wieder fortgesetzt. Ihr scheint es also wirklich um den Camino gegangen zu sein, nicht unbedingt darum, ein Ziel erreichen zu müssen. Mir imponiert dieser Gedanke. So frei und selbstsicher war ich nicht. Menschen laufen den Weg, ohne an ein Ziel kommen zu müssen. Sie laufen des Weges willen. Respekt.

Briefkasten mit Pilgerbuch bei einer
Pilgerstation kurz vor Brienzwiler 
Ich dachte zuerst daran, eventuell auf der Alpenvereinshütte auf dem Pass zu übernachten. Sie war jedoch - vermutlich wohl aufgrund der vorhandenen Schneelage - geschlossen. Ich war hin und wieder einfach zu optimistisch unterwegs. So wollte ich unbedingt bis nach Brienzwiler weiterpilgern. Auf dem Pass und kurz danach waren dann auch noch einige laminierte Flyer zu sehen, die auf die Pilgerherberge verwiesen. Ich hatte mich mit den Pilgerherbergen gar nie so richtig auseinandergesetzt. Ich wusste nicht, wie es dort zugehen, was mich dort erwarten würde. Bis jetzt konnte ich noch in keiner nächtigen. Im Nachhinein bereue ich es sehr, dass ich es im schönen Rapperswil nicht erwartet hatte - dort wäre eine schöne, neue Herberge gewesen. Die traumhafte Stadt, dazu noch gepaart mit herrlichem Wetter hätten mir gut getan. Aber nein, ich musste ja weiter gehen und landete schließlich in Pfäiffikon in einer weit weniger idealen Unterkunft. Bei teils herrlichem Sonnenschein stapfte ich durch Waldstücke auf schneebedeckten Pfaden. Es war teils wirklich grenzwertig mit dem Vorankommen. Das zahlreiche Laub auf den Waldwegen machten diese sehr rutschig. Ich musste langsam und vorsichtig gehen.
 
Auf dem Brünig-Pass
Ich war froh, als ich mich langsam auch von der doch vielbefahrenen Pass-Straße entfernen konnte. Wolken zogen auf und plötzlich setzte Regen ein, als ich nur sehr mühsam vorankommend durch den dichten Wald ging. Ich war glücklich, als ich dann bei sehr starkem Regen endlich Brienzwiler erreichte. Eine große Glocke hing vor der sehr einladend wirkenden Pilgerherberge, die ich auch sogleich freudig in Schwingung versetzte. Etwas überrascht öffnet mir eine Frau die Türe. Man hat wohl ob der späten Stunde nicht mehr wirklich mit mir gerechnet. Die "Herbergsmutter", mit Namen Regula, meinte dann aber auch sofort, "man weiß nie, wann Pilger auftauchen. Pilger sind frei. Sie gehen so lange und so weit wie sie wollen." Das gefällt mir! Genau so empfinde ich auch. Obwohl ich sehr nass war, mussten zunächst die Anmeldeformalitäten erledigt werden. Ordnung muss sein und ich hatte auch Verständnis dafür, wenngleich ich mich nach einer heißen Dusche sehnte. Der Herbergsvater und Ehemann von Regula, Christian stieß inzwischen zu uns und half mir mit meinen nassen Sachen. Ich übergab meinen Pilgerpass und gab darüber Auskunft, von wo aus ich meinen Camino und meine Tagesetappe gestartet hatte. Und auch wohin ich noch gehen will. Die beiden freuten sich sichtlich über mein Vorhaben, bis zur Apostelstadt gehen zu wollen. Sie wirken aber auch nicht wirklich überrascht. Wenn man in der Schweiz im Frühjahr eine Pilgerherberge aufsucht, scheint das Ziel Santiago logisch nachvollziehbar zu sein. Im Pilgerbuch konnte ich erlesen, dass sich einige Santiago als Ziel ausgesucht hatten. Allerdings gehen die meisten nicht alles "am Stück", sondern gehen den Weg etappenweise. Überrascht war ich doch, dass beinahe alle in Brienzwiler verweilenden Pilger in Flüeli-Ranft gestartet waren. ich war also von meinem Tagespensum absolut im Durchschnitt unterwegs. Ich war am 8. Tag meines Camino physisch wie psychisch noch weit nicht dort, wie es später dann sein sollte. Die heutige Etappe etwa hat mich ob des Schnees und des schlechten Wetters ziemlich geschlaucht. Die zu bewältigenden Höhenmeter taten ihr übriges dazu. Übrigens konnte ich mich als 900. Gast der Herberge im Anmeldebuch eintragen lassen! 
 
Regula und Christian vor ihrer Pilgerherberge
in Brienzwiler
Die beiden waren vielleicht auch irgendwie froh, noch unerwarteterweise Gesellschaft bekommen zu haben. Sie kümmerten sich sehr nett um mich. Ich bekam Waschmittel für meine Kleider zur Verfügung gestellt, Christian half mir beim Aufhängen der nassen Kleidungsstücke. Ein gemütlicher Kamin in der Gaststube würde meine Kleider heute sehr gut trocknen lassen. Die beiden richteten im Nu das Abendessen her. Ich hatte einen riesigen Hunger! Christian quittierte dies nur mit einem Lächeln und dem Satz "ist doch schön wenn es einem schmeckt". Es gab eine Kürbiscremesuppe, Spinatfladen und ein Reisgericht. Als Dessert noch eine Art Himbeercreme. Ich war - speziell nach den Erlebnissen des Vortags - rundum glücklich. Vor allem auch, weil ich nach längerer Zeit wieder Menschen zum reden hatte. Dazu noch Menschen, die, wie sie mir in der Folge auch erzählten, selber bereits mehrmals auf dem Camino unterwegs waren und daher ganz genau wussten wie es mir im Moment ergehen würde. Ich fühlte mich verstanden. Es entwickelte sich ein gutes Gespräch. Ich war mir zu dem Zeitpunkt, gerade einmal eine Woche nach Aufbruch von zu Hause, selber noch nicht über alle Fragen und Antworten im Klaren. Natürlich werde ich auch gefragt, warum ich mich auf den Camino gemacht habe und warum ich einen so langen Weg an einem Stück machen könne/wolle. Da wurde mir das erste Mal bewusst wie schwer eine solch einfach scheinende Frage beantwortet werden ist, zumindest aus meiner Sicht. Die beiden erzählten mir ausführlich, wie sie zu der Pilgerherberge in Brienzwiler gekommen sind. Von allen Problemen und Anfangsschwierigkeiten. Ich erfuhr auch von den Pilgern die vor mir hier übernachtet hatten, also mehr oder weniger weit vor mir sein würden. Hans aus Salzburg (eigentlich aus Altheim im Innkreis, Oberösterreich wie ich später erfahren würde) und Guido aus Gossau hatten in Brienzwiler übernachtet und sind mit 1, 2 Tage Vorsprung unterwegs. Auch von Christa, jene Frau die sich im Pilgerbuch auf dem Weg zum Brünig-Pass eingetragen hatte, erzählten sie. Sie würde wieder zurück nach Salzburg gehen (oder fahren?) und ein andermal den Weg fortsetzen. Dies hatte sie im Pilgerbuch ja auch angekündigt. Ich wünsche ihr, dass sie den Weg bald wird fortsetzen können - er scheint ihr auch wahrhaftig viel zu bedeuten. Genauso wie mir. Der Weg nimmt und gibt aber auch so unglaublich viel. Ich will aber nicht mehr ohne ihn sein, zumindest im Moment. Wer weiß, wie es mir auf dem Weg weiter gehen wird. Es ist eine Reise ins Ungewisse, soviel scheint klar. Auch ein interessanter junger Mann aus München, der sich gänzlich ohne Geld auf seinen Camino gemacht hat, von Christian ob seiner völlig blauen Kleidung einfach nur der "Blaue Michel" genannt, läuft vor mir. Da es meinem Knie alles andere als gut ging wusste ich nicht, ob ich die vor mir Laufenden je würde einholen können. Zumal meine täglichen Distanzen nicht sonderlich ambitioniert schienen. Das wechselhafte Wetter und die Schneeverhältnisse forderten dann doch noch zusätzlichen Tribut. Die anderen vor mir hatten aber dieselben Umstände zu bewältigen. Nachdem wir doch länger miteinander in der gemütlichen Stube geredet hatten, zog es mich dann doch rasch ins Bett. Der heutige Anstieg, der viele Schnee und der starke Regen machten mich sehr müde. Regula hatte noch eine entzündungshemmende Creme für mich - vielleicht würde sie meinem Knie gut tun. Die Herberge hat alles, was sich ein Pilger nur wünschen kann. Sollte jemand diesen Blog lesen, der sich in Bälde auf die Via Jacobi machen will, so empfehle ich mit Nachdruck zur Übernachtung in dieser großartigen Einrichtung!

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