Freitag, 31. Mai 2013

Tag 61: Castrojeriz - Frómista

Von Castrojeriz nach Frómista
Distanz: 25,1 KM
Unterkunft Frómista: Albergue Municipal de Peregrinos

Das Convento de Santa Clara in der Morgensonne
Die Tau-Kreuze vom Convento de Santa Clara ließen mir keine Ruhe. Obwohl der "Klostershop" erst um 10.00 aufmachen würde, also zu einem Zeitpunkt, wo ein Pilger leicht schon 2 Stunden auf dem Camino sein würde, musste ich noch dorthin. Es war ein strahlend schöner Tag heute. Ich verabschiedete mich von Helena und Hakan. Sie meinen noch, auch gern eines der Kreuze haben zu wollen, jedoch nicht die Geduld dafür aufbringen zu wollen. So laufe ich an jenem Morgen als einziger Pilger in Richtung Osten auf das wunderbar idyllisch gelegene Kloster zu. Die Stimmung heute Morgen ist besonders schön, die traumhafte Landschaft tut das ihrige dazu. Als ich gegen 08.00 beim Kloster ankomme, ist keine Menschenseele zu sehen, es stehen jedoch 2 Autos vor der Anmeldepforte. Ich betrete die Kirche, wo sich die Nonnen gerade zum Morgengebet versammelt haben. Ich bin der einzige "Gast" im Gotteshaus und lausche dem Gesang. Bereits nach einer halben Stunde ziehen sich die ehrwürdigen Schwestern wieder zurück. Ich sehe meine Chance gekommen und spreche eine betagte Schwester vor der Pforte an. Sie versteht sofort was ich will und so kann ich 10 Tau- oder auch Pilgerkreuze erstehen. Ich möchte meiner Familie und Freunden welche mitnehmen, damit sie sich früher oder später auch einmal auf Pilgerschaft begeben können. Ich bin froh, nicht bis 10.00 gewartet haben zu müssen und mache mich umgehend wieder auf den Weg.
 
Die unendlich wirkende Meseta
Es ist heute ein wunderbarer Weg. Ich bin inmitten der Weiten der Meseta. Obwohl ich recht spät auf den Camino kam, war ich beinahe nie alleine unterwegs. Allerdings war der Weg weit nicht so voll wie befürchtet. In meinem Führer stand, man solle die Mittagshitze möglichst meiden und tatsächlich brannte die Sonne heute unbarmherzig auf mich herab. Nach vielleicht 2 Stunden erreichte ich einen Pilgerrastplatz, wo man auch Getränke und Früchte erwerben konnte. Helena und Hakan sitzen auch gut gelaunt dort. Helena lacht und kann nicht glauben, dass ich sie schon eingeholt habe. Ich erkläre ihr, dass ich nicht bis 10 Uhr auf die Nonnen warten musste und übergebe ihr ein Tau-Kreuz. Auch Hakan bekommt eines. Sie wollen die Kreuze bezahlen, ich lehne ab. Sie freuen sich sichtlich sehr darüber. Ich raste auch eine viertel Stunde, verabschiede mich dann aber bald.  

Wir sollten uns in Frómista wiedersehen. Auch eine Gruppe von 4 jungen Damen aus den USA bzw. Kanada, die miteinander den Camino liefen und die ich kurz vor Frómista kennenlernen konnte. Es waren heute nur 25 Kilometer. Irgendwie hat es sich halt so ergeben. Die Bekanntschaften freuen mich sehr und ich genoss es, ein kühles Bier im Freien trinken zu können. Eine Bodega war unmittelbar neben der Herberge. Bald waren wir eine größere Gruppe und unterhielten uns prächtig. Die Tatsache, dass ich heute nicht sehr viele Kilometer machte führte dazu, dass viele Pilger, die gestern ebenfalls in Castrojeriz übernachtet hatten, heute in Frómista nächtigen sollten. Es war quasi eine logische, nicht all zu ambitionierte Etappe heute. Attila hatte heute 2 Ungarinnen kennengelernt und schien besonders an der jüngeren Gefallen gefunden zu haben. Sie sollten ebenfalls in unserer Herberge übernachten. Der kleine Ungar sollte mir auch auf meinen letzten Camino-Kilometern immer wieder begegnen.

Donnerstag, 30. Mai 2013

Tag 60: Burgos - Castrojeriz

Von Burgos nach Castrojeriz
Distanz: 40,9 KM
Unterkunft Castrojeriz: Refugio tradicional de Castrojeriz

Am Stadtrand von Burgos
Diese Nacht konnte ich sehr gut schlafen. Die beiden wohlbeleibten Spanier hatten es am Morgen wiederum sehr eilig. Einer erzählt mir, dass sie ihren Camino für dies Jahr beendet haben und heute nach Barcelona fliegen würden. Ich bin froh, denn deren Sägerei war doch auch sehr anstrengend. Ich packe schnell meine Sachen, verabschiede mich von den Südtirolern und mache mich wieder auf den Weg. Es gilt noch die Postkarten einzuwerfen. So eine große Stadt, ich finde aber keine Postkästen. So frage ich in einem kleinen Café, wo ich auch gleich ein Frühstück einnehme. Die Dame ist sehr nett und bietet mir an, die Karten für mich einzuwerfen. Ich bin zunächst skeptisch, willige dann aber doch gerne ein. Die Karten sind dann auch wirklich angekommen. Es ist ein teils  leicht bewölkter, teils sonniger Tag heute, zum nahezu perfekt, um zu laufen. Viele Pilger verlassen gerade die Stadt. Burgos wird wohl aufgrund seiner verkehrspolitischen Bedeutung für Viele Ausgangspunkt für deren Pilgerfahrt sein. Schon recht nahe dem Stadtrand, aber noch vor dem El Parral, der großen Parkanlage Burgos, bitte ich 2 Kinder ein Foto von mir zu machen. Eine Eisenstatue bietet sich als Fotomotiv gerade an. Die Statue stellt eine Frau mit Milchkannen dar.

Nach 60 Tagen hatte ich die Meseta erreicht
Ich überhole viele Pilger, bin froh, wieder aus der Stadt hinaus zu kommen. Ich komme nach rund 2 1/2 Stunden nach Rabé de las Calzadas. Plötzlich, ohne dass ich es groß im Führer erlesen hätte, ändert sich die Landschaft. Ich betrete die Tierra de Campos. Unendliche Getreidefelder und andere landwirtschaftliche Flächen erstrecken sich vor mir. Kein Zweifel, ich hatte die Meseta erreicht. Als Bergbewohner, der selten weiter als bis zum nächsten Hügel oder Berg schauen kann war es eine wahre Wohltat. Der Horizont schien so unendlich weit weg. Jenseits pulsierender Zentren und Verkehrsadern unserer Zivilisation kam ich mir nun wieder wie ein echter Pilger vergangener Zeiten vor. San Antón war für mich ein sehr kraftvoller Ort, wenngleich nicht mehr viel aus der alten Zeit zu sehen ist. Die Straße führt durch einen steinerne Bogen der Klosterruine. Ich habe gelesen, dass das Tau-Kreuz dort seinen Ursprung haben dürfte. Ich hoffe, irgendwo ein Pilgerkreuz erstehen zu können.

Die Klosterruine St. Antóns
Als ich in Castrojeriz ankomme, merke ich dass sich ein Stein in einen meiner Stöcke hineingeraten ist. Wie kann denn das sein? ich blicke auf die Spitzen und stelle fest, dass es gar keine Spitzen mehr sind. In den 2 Monaten hatte ich meine damals niegelnagelneuen Stöcke "runtergelaufen" - so kann ich wenigstens sagen, sie haben ihren Zweck definitiv erfüllt. Wie oft kauft man etwas und nutzt es doch viel zu selten. Ohne die beiden Stöcke wär ich niemals so weit gekommen, spätesten bei meinen körperlichen Gebrechen zu Beginn meines Camino wäre ich ohne sie unmöglich weitergekommen. Ich beschließe sie noch weiter zu nutzen, mehr als dass sie noch kürzer werden, kann ja nicht passieren... Ich bin mit den Stöcken übrigens noch bis Fisterra gelaufen, so sehr hatte ich mich an sie gewöhnt, so gute Dienste hatten sie mir erwiesen. Letzte Woche (es ist jetzt Mitte November, wenn ich diese Zeilen schreibe) entsorgte ich sie schließlich schweren Herzens. Ein Irischer Pilger kommt mir bald entgegen und meint, in der Herberge San Esteban sei leider kein Platz mehr verfügbar. Schade, die Unterkunft sah sehr einladend aus. Ich ergattere in der Herberge San Juan aber noch ein Bett. Die Herberge ist sehr einfach. Es gibt kein heißes Wasser (mehr). Die Betten sind nicht sehr alt und schmuddelig. Ich habe aber meinen Schlafsack, drum lässt mich das relativ kalt. Ich lerne eine junge Wienerin und ihren deutschen Begleiter kennen - sie pilgern bereits seit einigen Tagen gemeinsam. In einer Bar lerne ich beim Tagebuchschreiben und Biertrinken eine deutsche Pilgerin mittleren Alters kennen. Wir verabreden uns später zum Abendessen. Ich muss zuerst noch zum Convento de Santa Clara, denn dort soll es im Klostershop die von mir begehrten Tau-Kreuze geben. Das Kloster liegt rund eine halbe Stunde vor Castrojeriz. So ging ich noch einmal rund 1 Stunde - und das leider sinnlos, wie sich leider herausstellen sollte. Der Shop war bei meiner Ankunft bereits geschlossen, die Angaben im Führer stimmten leider nicht.

Das Abendessen war dafür köstlich. Ein deutsches Pilgerpaar saß ebenfalls an unserem Tisch und wir unterhielten uns sehr gut.

Mittwoch, 29. Mai 2013

Tag 59: Villafranca Montes de Oca - Burgos

Von Villafranca Montes de Oca nach Burgos
Distanz: 40,4 KM
Unterkunft Burgos: Casa de Cubos

Stimmungsvoller Camino kurz nach Villafranca Montes de
Oca
Als ich mich auf den Weg mache, sind einige bereits vor mir aufgebrochen. Das Wetter ist heute sehr wechselhaft, es regnet aber nicht. Ab und zu durchdringen auch ein paar Sonnenstrahlen die dichte, dunkle Wolkendecke. Lebhafter Wind zieht auf. Meine Fließmütze tut mir gute Dienste. Die "Gänseberge" stehen heute auch auf dem Programm. Früher mussten sich die Pilger dort angeblich sehr vor Räubern und Banditen fürchten. Heute ist alles sehr friedlich, ich bin weitestgehend alleine unterwegs. Der Weg nach San Juan de Ortega ist wunderschön. Ich überhole auch eine Schulklasse. Der Bayer Franz ist mir immer wieder "auf den Fersen". Ich gebe zu, es ist ein unangenehmes Gefühl, von jemandem "getrieben" zu werden. Ich denke, er wollte mir nach dem gestrigen Tag einfach beweisen, wie schnell er doch sein kann.

Das Grabmal San Juans, einem großen
Förderer des Jakobsweges
Nachdem ich die Iglesia Monacal (die ehemalige Klosterkirche) mit den Überresten des Heiligen San Juan besuchte, verliert sich jedoch seine Spur - ich werde ihn auf meinem weiteren Camino nicht mehr wiedersehen. Der gotische Baldachin in der Kirche ist sehr beeindruckend. Ich bin ganz alleine im Gotteshaus, die Stimmung ist schön, ganz speziell. Ich will heute noch Burgos erreichen, nach Pamplona die 2. große Stadt auf dem Camino, so mache ich mich sogleich wieder auf meinen Weg. Ich mochte die großen Städte eigentlich nicht. Die vielen Menschen waren mir schrecklich. Auch sammelten sich dort besonders viele Pilger. Verkehrstechnisch günstig würden dort viele Peregrinos ihren Weg starten. Gut 500 Kilometer sind es von Burgos noch bis Santiago. In 2 Wochen wäre diese Strecke durchaus zu schaffen. Es ist merkwürdig, wie wenigen Pilgern ich bis Burgos begegne, es waren doch einige in meiner Herberge untergebracht. Zudem gab es in Villafranca ja auch noch eine 2. Unterkunft. Ich genoss die Einsamkeit auf den famos schönen Wegen jedoch umso mehr. Mit Handschuhen und Fließkappe ausgerüstet kam ich sehr gut voran. Das kräftigende Essen gestern tat mir sichtlich gut. Ich gebe zu, ab und an auch selber erstaunt zu sein, wieviel ich inzwischen verdrücken kann. Dann denk ich mir aber, dass es kein Fehler sein kann, viel zu essen, wenn man großen Hunger hat. Ich laufe ja auch einiges an Kilometern und muss dem Körper auch was dafür zurückgeben. Ich passiere die archäologische Grabungsstätte Atapuerca. Große Hinweisschilder machen darauf aufmerksam. Ich habe aber überhaupt keine Lust, mich damit zu beschäftigen, schließlich wollte ich ja heute noch bis nach Burgos kommen und das sollten noch gute 4 Stunden Marschzeit sein. Um kurz nach 10 geht es weiter.
 
Der Camino kurz nach San Juan de Ortega
1 Radler und 1 Stück Tunfischpizza gab es, als ich in Cardeñuela Riopico in einer kleinen Bodega einen Rast einlege. Was danach kam, kann nur mit furchtbar beschrieben werden. Über das großangelegte Industriegebiet läuft man entlang einer stinkenden, vielbefahrenen Straße in Richtung Burgos. Dies war vielleicht der schlimmste Etappenteil auf meinem ganzen Camino, fast noch trostloser als mein Einmarsch in Genf. Man will diesen Teil einfach nur so schnell als möglich hinter sich bringen. Ich las vor und nach meinem Camino des Öfteren, dass manche die Öffis verwenden, um ins Zentrum zu gelangen. Ich wollte aber wirklich jeden Kilometer tatsächlich gelaufen sein. Wenn man solche Strecken erleben muss, freut man sich dann umso mehr wieder auf die ruhigeren, einsameren Etappen, die sicher wieder kommen werden.
 
Am 59. Tag meines Caminos hatte ich
die Catedral de Santa Maria in Burgos
erreicht
Ich bin froh, gleich zur riesigen Herberge gelaufen zu sein, als ich gegen 16 Uhr in Burgos ankomme, denn der Andrang dort war sehr groß. Als ich den Schlafsaal betrete, sind schon fast alle Bette belegt. Zu meiner großen Überraschung stehen auf einmal auch die beiden sehr beleibten Spanier von gestern vor mir. Es ist eigentlich nicht wirklich möglich, dass sie so schnell die selbe Distanz zurückgelegt haben sollen, wie ich. Sollten sie die gut 40 Kilometer wirklich gelaufen sein, ziehe ich meinen Hut. Ich laufe durch die Stadt und suche ein Pilgermenü als Abendessen. Schließlich lande ich im Restaurant "El Cid". Das Essen ist ok, aber nichts besonderes. Die Tische sind leider so gestaltet, dass man sehr für sich alleine sein muss. Am Nachbartisch höre ich 2 Pilgerinnen reden. Als ich ihnen meine nicht einmal zur Hälfte ausgetrunkenen Rotweinflasche auf den Tisch stelle, freuen sie sich. Man bekommt, auch wenn man alleine am Tisch sitzt, zum Pilgermenü stets eine ganze Flasche vom Hauswein. Heute hätte ich ob der vielen Pilger in meinem Herbergszimmer wohl doch ein wenig mehr trinken sollen. Vor allem, da ja die Spanier von gestern auch heute Nacht sicher wieder neben/über/unter mir "sägen" würden..

Dienstag, 28. Mai 2013

Tag 58: Santo Domingo de la Calzada - Villafranca Montes de Oca

Von Santo Domingo de la Calzada nach Villafranca Montes de Oca
Distanz: 35,4 KM
Unterkunft Villafranca Montes de Oca: Staatliche Herberge


Die Puente de Santo Domingo y Ermita
Bereits das 2. Mal auf meinem Camino, dass sich ein Pilger bestohlen fühlt. Nach dem Zwischenfall in Puente la Reina nun auch in der Herberge Santo Domingos. Allerdings musste der Italienische Pilger auch diesmal feststellen, dass er selber seine geliebte Kamera unter dem Kopfkissen versteckt hatte. Er hatte es nur vergessen und schlug Alarm. Ich hatte auch lange Zeit Angst um mein Hab und Gut. Irgendwann nicht mehr. Wenn man ständig Angst und Panik wegen vermeintlicher Diebe auf dem Camino hat, beeinflusst dies massiv seine Pilgerreise. Ich will da nicht mitmachen. Klar, man muss sein Glück nicht herausfordern und alles auf einem Präsentierteller liegen lassen. Mir ist auch in all den vielen Kilometern und Tagen auf dem Camino nie irgendetwas abhanden gekommen, was ich nicht selber "angebaut" hätte. Im Schweizer St. Peterzell ließ ich meine Wäscheleine hängen, auf dem Camino Fisterra verlor ich irgendwo meine Billig-Sonnenbrille. Mein erstes Paar Schuhe wurde wegen abgelaufener Sohlen bewusst in St. Jean Pied de Port gelassen und in den "Schuh-Himmel" entsandt. Alles Andere brachte ich heil wieder nach Hause.
 
Ich passiere die Grenze der Region Castilla y León/Provinz Burgos.

Eine Gasse in Belorado
In Villafranca Montes de Oca lerne ich den Bayern Franz kennen. Er dürfte altersmäßig irgendwo zwischen 50 und 60 angesiedelt sein. Er ist mir ob seiner Schnelligkeit bereits auf dem Camino aufgefallen. Ich bin froh, ihn getroffen zu haben. Speziell nach gestern Abend freue ich mich über Gesellschaft. Wir gehen erst zusammen einkaufen und wollen dann ein Pilgermenü in einem der 3 Restaurants suchen. In der ersten Bodega werden wir freundlich empfangen. Verschiedenes Fleisch hängt dort auch und Macht Lust es zu probieren. Franz fühlt sich dort jedoch nicht wohl und verlässt die Bodega umgehend. Ich hätte dort zumindest ein kleines Bier getrunken, so schäme ich mich sehr, dass wir einfach so die Bodega wieder verlassen. Es gibt ein weiteres Restaurant, dass gemeinsam mit der privaten Herberge und einem Hotel untergebracht ist. Es wird schnell klar, dass ich heute die falsche Herberge ausgewählt hatte. Die Privatherberge kostet gleich viel, eigentlich gleich wenig und ist um einiges schöner eingerichtet. Die vielen Pilger wirken in dem luxeriösen Gebäude beinahe ein wenig unwirklich und deplatziert. Wir werden sofort von 1 deutschen Pilgerin angesprochen, die mit ihrem Sohn auf dem Camino unterwegs ist. Sie erklärt uns, dass jene Pilger, die ein Gepäcktransportunternehmen während ihres Caminos in Anspruch nehmen,  in ihren Augen keine echten Pilger sind. Ohne mit der Wimper zu zucken gibt sie dann aber an, am nächsten Tag ihre Etappe mit dem Bus zurücklegen zu wollen, da sie Probleme mit ihrem Fuß habe. Ihr Sohn schaltet sich auch ins Gespräch ein und meint, dass er es einmal in einer Pilgerherberge versucht hätte - er es dort aber nicht aushalten könne. So nächtigt er während der Woche, in der er seine Mutter begleitet nur noch in Hotels. Ich dränge auf ein Ende des Gesprächs - ich halte die beiden nicht wirklich gut aus. Franz begreift das und wir suchen nach einem weiteren Restaurant.

Lieb gewordene Camino-Symbole
Und tatsächlich gab es noch eine 3. Bodega. Eine große Bar mit rauchenden und biertrinkenden Einheimischen ist bei unserem Eintreten zu sehen. ich frage die Dame hinter der Bar ob es auch etwas zu essen gäbe. Sie nickt und führt uns in einen getrennten Raum und schildert uns mit ihren enden wollenden Englischkenntnissen die Essensoptionen. Franz scheint nicht sehr begeistert ich setze dann aber doch durch, dass wir hier bleiben. Ein weiteres Restaurant hätte es in dem kleinen Dorf bestimmt nicht mehr gegeben. Das Essen war dann auch ganz ausgezeichnet. Vor allem die Menge war mehr als großzügig. Ich hatte großen Hunger und ließ nichts übrig. Es gab für mich Pasta mit Chorizo als Vorspeise (bei uns wäre die Vorspeise ob der Größe leicht als Hauptspeise durchgegangen) und ein Hühnerragout als Hauptspeise, gefolgt von dem von mir heiß geliebten Flan Caramel. Obwohl Franz ein ganz und gar anderer Typ ist als ich, unterhalten wir uns gut. Es ist schön, die Pilgererlebnisse anderer hören zu können.
 
Morgen könnte ich vielleicht schon Burgos erreichen, neben Pamplona und Leon sicherlich die größte Stadt auf dem Weg nach Santiago. Gute 40 Kilometer sind es noch bis dahin und sollten doch zum schaffen sein.  

Montag, 27. Mai 2013

Tag 57: Navarrete - Santo Domingo de la Calzada

Von Navarrete nach Santo Domingo de la Calzada
Distanz: 38,7 KM
Unterkunft Santo Domingo de la Calzada: Albergue de Peregrinos Cisterciense de Nuestra Señora de la Anunciación


Die Kilometer werden weniger
Das Wetter meint es heute zu Beginn alles andere als gut. Es regnet fast durchgehend. Ich laufe jedoch durch wunderbare Landschaften. Die Wege sind meist sehr gut befestigt - ich muss also nicht im Schlamm laufen. Jeder Kilometer wird jetzt angezeigt. Auf der einen Seite freut man sich, weil man die Kilometer langsam und kontinuierlich schwinden sieht. Auf der anderen Seite wird einem dadurch natürlich auch klar, dass das Ziel näher kommt, ein Plan für das Danach unumgänglich benötigt wird. Wie wird das Ankommen zu Hause sein - wie wird die Umgebung reagieren? Wie wird es mir dabei gehen? Ich weiß es noch nicht. Knapp 600 Kilometer noch bis zur Apostelstadt. Kurz vor Ventosa redet mich ein Dorfbewohner an. Er fragt mich, woher ich komme und wie es mir auf meinem Camino ergehe. Er staunt ein wenig, als ich ihm meinen Ausgangspunkt preisgebe. Er wünscht mir einen guten Weg und verabschiedet sich. Ich beschließe, in Ventosa zu frühstücken. In einer kleinen Bodega gibt es Schoko-Croissants und Café con Leche. Einige Arbeiter aus dem Dorf sind auch am Café trinken, manch einer genehmigt sich bereits ein erstes Bier. In Nájera esse ich 2 Tostadas und trinke eine Cola. Die hübsche Kellnerin schenkt mir nach dem Zahlen einige Kaffee-Schokoladen und wünscht mir einen guten Camino. Sie scheint Mitleid mit mir zu haben, als sie sich vor der Türe der Bodega noch einmal verabschiedet und skeptisch gen Himmel schaut. Das Wetter wurde aber im Laufe des Tages immer besser.

Kurz vor Nájera erregte trotz strömenden Regens ein auf eine Wand geschriebenes Gedicht meine Aufmerksamkeit:

Staub, Schlamm, Sonne und Regen,
das ist der Weg nach Santiago.
Tausende von Pilgern
und mehr als tausend Jahr.
Wer ruft Dich Pilger?
Welch geheime Macht lockt Dich an?
Weder ist es der Sternenhimmel,
noch sind es die großen Kathedralen
Weder die Tapferkeit Navarras,
noch der Rioja-Wein.
Nicht die Meeresfrüchte Galiziens
und auch nicht die Felder Kastiliens.
Pilger wer ruft Dich?
Welch geheime Macht lockt Dich an?
Weder sind es die Leute unterwegs,
noch sind es die ländlichen Traditionen.
Weder Kultur und Geschichte,
noch der Hahn Santo Domingos.
Nicht der Palast von Gaudi
und auch nicht das Schloss Ponferradas.
All dies sehe ich im Vorbeigehen
und dies zu sehen ist, ist Genuss.
Doch die Stimme, die mich ruft
fühle ich viel tiefer in mir.
Die Kraft die mich voran treibt,
die Macht die mich anlockt.
Auch ich kann sie mir nicht erklären
das kann allein nur Er dort oben!
E.G.B.

Kurz vor Santo Domingo de la Calzade
Nach heute knapp 40 Kilometern Tagespensum erreiche ich Santo Domingo de la Calzada. Sicherlich einer der bekanntesten Orte auf dem Camino Francés. Speziell die letzten Kilometer waren fantastisch schön zu bewandern. Endlos scheinende Wege führten mich durch große Wiesen und Agrarflächen. Santo Domingo ist dann von der letzten Erhebung bereits deutlich von weitem zu sehen. Ich versuche im ersten Refugio mein Glück und bekomme dort auch ein Bett. Die Hospitalera bei der Anmeldung hat große Probleme, meine Nationalität zu begreifen und ist bis zum Schluss davon überzeugt, dass es bei mir zu Hause Kängurus geben müsse.  

Gasse in Santo Domingo
Mir ist ihre Ignoranz egal. Nach einer Französin auf dem Weg nach Condom ist es bereits die 2. Bekanntschaft auf dem Camino, die mit dem Begriff Österreich nichts anfangen kann. Ich mach mir Sorgen um das Bildungssystem in Europa, lass es dann aber bleiben. In meinem Zimmer liegen bereits zahlreiche Pilger in ihren Betten und ruhen. Diesmal sind viele asiatische und US-Pilger in der Herberge. Es gibt einen großen Aufenthaltsraum mir einer Kochnische. Auch ein Kaminfeuer flackert lustig vor sich hin und macht den an sich recht kühlen Raum einigermaßen gemütlich. Ich bediene mich an dem dort aufgestellten Getränkeautomaten und schreibe auf einem großen Tisch Tagebuch. Eine Holländerin setzt sich zu mir. Ich biete ihr und einem weiteren Pilger Schokokekse an - sie nehmen die Einladung gerne an. Die Frau erzählt mir nicht ohne Stolz, dass sie von Vézelay aus gestartet sei und jetzt bereits den 44. Tag unterwegs sei.
Ich höre mir ihre Worte an. Zum reden komme ich fast nicht, sie scheint sehr mitteilungsbedürftig zu sein. Sie mag sichtlich gelobt werden. ich zeuge ihr auch Respekt für ihre großartige Leistung. Irgendwie hegte ich wohl die Hoffnung, sie würde mich fragen, später gemeinsam Abendessen zu gehen, denn ich wollte heute Abend nicht alleinig sein. Sie tut es nicht, obwohl ich die Restaurants der Umgebung gezielt zum Thema mache. So gehe ich dann widerstrebend alleine essen.  

Statuen über einem Portal der Kathedrale Santo Domingos
Ich laufe untertags sehr gerne alleine. Ich suche sogar die Einsamkeit. Am Abend schaut es aber ab und zu anders aus, da hätte ich öfters gerne jemanden zum reden. So setze ich mich alleine an einen Zweiertisch. Es sind noch weitere Pilger anwesend. Im Laufe der Zeit füllt sich das Lokal. Das Essen ist alles andere als gut. Was für ein Unterschied zu gestern Abend. So nette Menschen gestern, heute komme ich mir völlig alleine und isoliert vor.
 Die Kathedrale Santo Domingos konnte ich heute nicht besuchen. Es fand gerade eine Trauermesse statt. Eigentlich war es mir auch egal. Ich hatte schon so viele Götteshäuser auf meinem langen Weg besucht. Das legendäre "Federvieh" Santo Domingos konnte mir heute auch gestohlen bleiben. So ging ich alsbald zurück in die Herberge und schlief mit dem MP3-Player im Ohr bald sehr tief ein.

Sonntag, 26. Mai 2013

Tag 56: Los Arcos - Navarrete

Von Los Arcos nach Navarrete
Distanz: 41,1 KM
Unterkunft Navarrete: La Casa del Peregrino


Der Camino kurz nach Los Arcos
Das Frühstück heute war sehr einfach. Mir hat gefallen, dass ich einen Schweizer aus Zürich kennenlernen konnte, der so wie ich von zu Hause aus losgelaufen ist. Er startete wie ich am 1. April. In Summe dürfte er nur 3 bis 4 Tagesetappen weniger gelaufen sein. Seinen Mammut-Schuhen sah man die vielen gelaufenen Kilometer durchaus bereits an. Ich fühlte mich heute sehr stark. Nach Los Arcos setzte der Camino ähnlich schön fort wie am Vortag. Über einen staubigen, völlig autofreien Weg hatte man einen fantastischen Blick über die weitläufige Ebene. Keine einzige Wolke störte den herrlich blauen Himmel über mir. Ich überholte viele Pilger. Zahlreiche Asiatinnen waren darunter. Teilweise hatten sie sogar auch Handtaschen über einer Schulter hängen. Es sah irgendwie lächerlich, irreal und völlig unpraktisch aus, war aber zum Glück ja nicht mein Problem.

Das Rathaus in Viana
In Viana, der letzten Stadt Navarras auf meinem Weg, gab es eine Pause mit Cola und Tapas. Es war kurz nach Halbzwölf, als ich die kleine, aber sehr schöne Stadt erreichte. Die Häuser Vianas wirken stolz und prächtig, zweifelsohne musste die Stadt eine ruhmreiche Vergangenheit hinter sich haben. Direkt am Hauptplatz, wo auch das sehenswerte Rathaus steht, saßen zahlreiche Pilger und Einheimische. Man merkte richtiggehend, wie positiv sich das schöne Wetter auf die Menschen ringsum auswirkte. Ich blieb jedoch nicht sehr lange sitzen, war ich doch erst 3 1/2 Stunden unterwegs. Ich wusste noch nicht sicher, wie weit ich heute kommen sollte. In einem kleinen Geschäft konnte ich noch Proviant für die weiteren Kilometer einkaufen.

Wem haben wohl diese Schuhe gehört?
In Logroño, der Hauptstadt der Weinregion "La Rioja" gönnte ich mir in einer Bodega ein Mittagessen. Mein erster Bocadillo stand auf dem Menüplan. Über eine große Brücke betrat ich die Stadt. Gleich nach der Brücke gibt es eine Pilgerinformation. Ich hole mir dort den Pilgerstempel. Auf die Frage, ob ich eine Unterkunft brauchen würde, verneine ich. Es ist noch zu früh für mich. Ich stöberte in meinem Führer und kam zum Schluss, dass ich es heute wohl noch bis Navarrete würde schaffen können. Dort gibt es auch mehrere Pilgerherbergen und ich konnte den Trubel der Großstadt hinter mir lassen. Ich verließ die Stadt sehr schnell. Einige Pilger waren auf der Strecke unterwegs. Ich hätte hin und wieder gerne die Situation wie in der Schweiz gehabt, kilometerlang völlig alleine unterwegs zu sein. In Spanien sollte dies jedoch nur hin und wieder möglich sein. Nach größeren Städten war ohnedies immer sehr viel los, die Pilgerfrequenz deutlich erhöht. Dort sammeln sich eben die Pilgermassen. Ich versuchte auch weiterhin, diesem Zyklus zu wider zu handeln und die Herbergen vor oder nach dem Empfehlungen des Führers auszuwählen.

Dunkle Wolken begleiteten meine Ankunft in Navarrete
Über eine sehr großzügig angelegte Parkanlage (Parque de San Miguel) verließ ich die Stadt. Ein Stausee kommt, zahlreiche Einheimische treffen sich dort zum Grillen. Es geht noch auf eine Erhebung. Ich bin völlig alleine unterwegs. Die meisten Pilger werden wohl in Logroño geblieben sein. Der Himmel wurde am Nachmittag ziemlich bewölkt, ich fragte mich, ob ich es noch trocken bis Navarrete schaffen würde. Um 17:15 kam ich dort schließlich an. Ich bekam in der ersten aus geschriebenen Herberge sogleich einen Platz. Der Hospitalero war sehr freundlich. Es waren bereits zahlreiche Pilger verschiedenster Nationalitäten anwesend. Mit 2 Holländern und 3 Amerikanerinnen kam ich sogleich ins Gespräch. Während die noch jungen Amerikanerinnen ihren Kampf mit dem Camino hatten und sich mit Süßigkeiten bei Laune hielten, waren die beiden Holländer schon gesetzteren Alters und beim Wein trinken. Auch der Schlafsaal war schon sehr gut besetzt, ich bekam eines der letzten Betten, ein paar sollten heute aber auch frei bleiben. Jedes Bett hatte auch einen dazugehörigen Spind, was sehr fein war. Nach dem Duschen saß ich mich in den Gemeinschaftsraum zum Tagebuch schreiben. Auch Wein aus der Region wurde angeboten - Rioja-Weine für 3 Euro die Flasche! Als Weißwein-Trinker bestellte ich eine Flasche vom Jacobo-Wein, der mit 13 Euro im Vergleich sehr teuer war. ich teilte natürlich die Flasche mit den anderen. Der Wein war leider nicht so ganz mein Fall. Einer der beiden Holländer arbeitete in seiner Heimat auch als Physiotherapeut bei diversen Sportvereinen mit. Seine Kenntnis der Wunderversorgung kam den US-Pilgerinnen zu Gute. Er versorgte deren Füße fachmännisch. Die Amerikanerinnen hatten von Trekkingschuhen keine Ahnung, kauften sie auf dem Camino und wirkten auch sonst nicht sehr gut vorbereitet. Am Abend ging ich mit den beiden Holländern in ein Gasthaus essen. Ein Fernseher lief ohne Unterbrechung. Ein Spiel aus der Primera Division wurde übertragen. Außer uns war nur ein einziger anderer Pilger in dem Gasthaus - keine Ahnung wo die anderen alle waren. Unsere Herberge war lange nicht die einzige in Navarrete, es müssten also sicher auch noch andere Pilger unterwegs sein. Das Essen war sehr gut, das Bier dazu ebenfalls. 

Samstag, 25. Mai 2013

Tag 55: Puente la Reina - Los Arcos

Von Puente la Reina nach Los Arcos
Distanz: 44,1 KM
Unterkunft Los Arcos: Casa de Austria

Über die berühmte Brücke verlasse ich Puente la Reina
Um 8 Uhr verlassen Attila und ich die Herberge. Da er jedoch kein Frühstück einnehmen wollte, läuft er vor. Ich mach es mir bei Kaffee und Croissant noch gemütlich. Heute steht eine anstrengende Etappe auf dem Programm. Der Führer gibt sie mit 11 Stunden an. Da brauch ich die Energie dringend. Ich bleibe aber natürlich nicht all zu lange und verlasse die Stadt über ihre berühmte Brücke. Sie diente in dem Moment natürlich als viel benutztes Fotomotiv. Es war nicht einfach und forderte einiges an Geduld, sie menschenleer fotografieren zu können. Kurz nach Puente la Reina sind viele Pilger auf dem Weg. Ich überhole auch ein österreichisches Paar, das für jedermann sichtbar die rot-weiß-rote Fahne auf ihre Ruchsäcke genäht hatte. Ich grüße mit einem "Servus" und laufe weiter. Es ist zu früh für mich, um Konversation zu treiben. Jenen etwas untersetzten Spanier von vergangener Nacht sollte ich auch noch treffen. Ob er wohl weiß, dass ich seinetwegen länger nicht einschlafen konnte, aus Angst er könnte durch das Bett hindurch auf mich krachen? Er fuhr gerade mit seinem Fahrrad einen Hügel hoch, als ich ihn überholte. Ungläubig schaute er mir nach und murmelte noch etwas auf Spanisch, ich verstand es nicht. Jeder muss seinen eigenen Camino gehen und das auf die Art und Weise wie sie ihm richtig scheint.

Um 13:30 kam ich in Estella an. Ich passiere die Iglesia del Santo Sepulcro mit seinem sehenswerten Portal. Staunend verweile ich einige Minuten davor. Durch wunderschöne Gassen komme ich immer weiter ins Zentrum Estellas. Bald schon finde ich eine Bodega, wo es fantastische Tapas gibt. Gemeinsam mit 2 Colas sollen sie mein Mittagessen sein. Vor der Kirche San Pedro de la Rúa treffe ich Attila. Auch ein Schweizer Pilger ist da. Dieser kennt wiederum eine vorbei spazierende deutsche Pilgerin. Attila wird schnell bewusst - diese Pilgerin gefällt ihm gut - er will und wird hier bleiben. Der Schweizer Pilger ist noch unentschlossen, entschließt sich dann aber auch für´s Bleiben. Für mich ist es noch zu früh - ich laufe weiter.
Ein Regenbogen vor Mañeru - ein gutes Omen?
Bis nach Los Arcos sollten es noch gute 5 Stunden sein - ich muss mich beeilen. Davor gäbe es nur noch den Halt in Villamayor de Monjardín. In der ganzen Eile blickte ich nicht mehr sehr ausführlich in meinen Führer - und so übersah ich völlig das Monasterio de Santa María la Real de Irache, bekannt für den Fuente de Vino, den Weinbrunnen, wo sich Pilger Irache-Wein einverleiben können. Auch ohne den Wein komme ich in der Folge sehr gut voran. Mir war klar, dass Estella durchaus ein logischer Ort zum Verbleiben gewesen wäre - ich musste aber einfach noch weiterlaufen.  Mein Körper konnte und wollte es einfach. Es ist bis zu einem gewissen Grad eine Sucht - aber eine positive. Ich will mich weiterhin fordern, physisch und psychisch, will nicht bei der ersten Gelegenheit pausieren.


Die Wunderschöne Kirche in Villamayor
de Monjardín
Der Weg nach Estella ist schlichtweg wunderschön. Waldhaine und Weinberge säumten meinen Weg. Die Ruhe war fantastisch - der Großteil der Pilger wird in Estella verweilt sein, ich hatte den Camino beinahe für mich alleine. Bei leicht bewölktem Himmel treffe ich bei perfekten Bedingungen nur 1 einzigen Pilger an. Ich kannte den Franzosen bereits aus St. Jean Pied de Port, was mir eigentlich als unmöglich erschien. Ich traf ihn bereits kurz nach Pamplona wieder. Der Mann war bestimmt schon über 60 Jahre alt und läuft mein Tempo, meine Distanzen. Und das, obwohl ich nun schon 54 Tage Training in meinem Körper hatte. Ich kann mich an den Namen des Pilgers leider nicht mehr erinnern. Er wusste meinen noch. Ich bin froh, ihm noch meinen absoluten, uneingeschränkten Respekt für seine Leistung ausgesprochen zu haben, denn es war das letzte Mal, dass wir uns auf dem Camino wiedergesehen haben. Der Camino nimmt und gibt. Er suchte sich in Villamayor de Monjardín einen Herbergsplatz - ich lief weiter, wollte ich doch heute noch die "Casa Austria" in Los Arcos erreichen - man ist halt doch auch auf dem Camino noch ein wenig Patriot. Die Kirche in Villamayor de Monjardín gehört übrigens zum absolut Schönsten, was ich auf meinem langen Weg erblicken konnte. Klar, die Kathedralen in Burgos und Leon sind beeindruckend. Diese Kirche hat aber einen ganz eigenen Glanz, dessen Faszination nur sehr schwer in Worte zu fassen ist. Ich versuchte mehrmals, das Faszinierende des Gebäudes mit meiner Kamera einzufangen.

Der Camino zwischen Villamayorde Monjardín
und Los Arcos
Am Ortseingang von Los Arcos sitzen 2 junge Pilgerinnen auf dem Gehsteig. Sie rauchen gerade eine Zigarette und sind sichtlich froh, ihr Etappenziel erreicht zu haben. Eile haben sie sichtlich keine. Es ist mittlerweile weit nach 18 Uhr als ich den Ort erreiche. Die beiden Pilgerinnen kommen aus Norwegen. Ich frage sie, ob sie auch in der "Casa Austria" übernachten werden. Sie verneinen mit dem Hinweis, auf ein österreichisches Brüderpaar getroffen zu sein, das sie tags zuvor ziemlich genervt hat. Da diese ankündigten dort schlafen zu wollen, würden sie eine Alternative vorziehen. Ich würde die beiden Österreicher später noch in einer Bodega kennenlernen und ich konnte die beiden Norwegerinnen dann nur all zu gut verstehen. Sie hielten sich für so super und toll, dass neben ihnen einfach kein Platz mehr war, auch für mich nicht. Mit den beiden Pilgerinnen laufe ich ins Ortszentrum. Aus einem Haus sind viele Menschenstimmen und Musik zu hören. Die beiden jungen Frauen fühlen sich sichtlich abenteuerlustig und mutig und treten einfach in das Haus ein. Eine große Gruppe von Menschen schaut uns erstaunt an. Es ist ein baskische Fahrradverein, ´der einmal im Jahr von Bilbao bis nach Los Arcos fährt. Obwohl man sichtlich nicht mit Pilgern gerechnet hat, bekommen wir sofort Kekse und etwas zu trinken. Wahrscheinlich weil sich die teils noch jungen Spanier sehr von den beiden schönen Norwegerinnen angezogen fühlen.

Ich suchte dann schnell die Casa Austria auf, wo ich von der italienischen Hospitalera auch sogleich noch einen Schlafplatz zugewiesen bekam. Ich war froh, war es doch schon recht spät. Ich ging unter die Dusche und im Anschluss gleich in das Stadtzentrum, das sehr überschaubar war. Ein großer Platz, den die prunkvolle Kirche, als auch einige Bodegas umsäumten. Ich hatte großen Hunger und ging in die erste Bodega. Es gab 2 große Bier und ein paar Tapas. Ein mit roter Jack Wolfskin-Jacke gehüllter Mann saß mir gegenüber - kein Zweifel - das musste die eine Hälfte des österreichischen Sympathie-Bruderpaares sein. Als ich die Bodega verlasse, sage ich leise "Servus" und der verdutzte Mann schaut mir wortlos nach.

In der Casa Austria, wo übrigens nichts außer dem Namen und ein "Herzlich Willkommen" - Schild auf mein Heimatland hinwies, lernte ich noch sehr nette Menschen kennen. Zum einen eine junge Deutsche, die sich nach einem Beziehungsende auf den Weg machte, eine junge Russin, die nicht wusste, warum sie sich auf den Weg gemacht hatte und einen jungen Schweizer, der wie ich von zu Hause aus gestartet war. Das interessierte mich natürlich am meisten und so konnten wir am folgenden Morgen beim Frühstück noch länger miteinander reden. Seine Mammut-Schuhe lösten sich bereits auf, was mich nicht sonderlich wunderte, musste ich doch meine Schuhe nach einer ähnlich langen Distanz in St. Jean bereits auswechseln. Er zeigte sich jedoch ob des Verschleißes enttäuscht. Ich traf ihn dann am Tag vor meiner Abreise, gerade von Fisterra zurückgekehrt, noch einmal in Santiago - er hatte immer noch dieselben abgelaufenen Schuhe unter seinen Füßen, nur notdürftig zusammengeflickt und war fest entschlossen, mit ihnen noch bis nach Fisterra zu laufen.

Am Abend gab es in der prunkvollen Kirche von Los Arcos eine Messe mit anschließender Pilgersegnung. Mir gefällt die Kirche sehr gut, jedoch ist der ganze Altarbereich in Gold gehalten, was mir persönlich zu viel ist. Auch gibt es keine realen Kerzen, um an Verstorbene zu gedenken. Elektrifizierte Glühlampen leuchten eine bestimmte Zeit lang auf, wenn man Münzen in den Apparat schmeißt. Im Anschluss schaue ich mit Pilgern in einer Bodega das Champions-League-Finale teilweise an. Zumindest die 1. Halbzeit sollte sich vor der Nachtruhe in der Herberge ausgehen. Champions-League-Finale und ich hätte es nicht bemerkt, wenn nicht gerade der Fernseher eingeschalten wäre - zu Hause wäre das undenkbar gewesen. Die Prioritäten ändern sich auf dem Camino sehr. Viel vom Spiel hab ich dann auch gar nicht mitbekommen, ein betrunkener Spanier lallt mir permanent ins Ohr, dass er LKW-Fahrer sei und öfters in Österreich, genauer gesagt in Vorarlberg unterwegs sei. Warum musste ich ihm auch erzählen, dass ich von dort komme, so wurde ich ihn nicht mehr los.



Freitag, 24. Mai 2013

Tag 54: Trinidad de Arre - Puente la Reina

Von Trinidad de Arre nach Puente la Reina
Distanz: 28,2 KM
Unterkunft Puente la Reina: Padres Reparadores



Das Rathaus in Pamplona
Ich laufe mit der Australisch-Britischen Truppe in Richtung Pamplona. Sie sind alle sehr positiv drauf und ich lass mich mit ihnen treiben. Erst später bekomme ich mit, dass für das englische Ehepaar der Camino in Pamplona endet. Sie sind den Camino schon gelaufen, nurmehr eine Etappe hat ihnen gefehlt. Sie laufen alle recht unterschiedlich schnell, die beiden Australierinnen lassen sich deutlich mehr Zeit als die anderen. So um 09:30 erreichen wir die prachtvolle Stadt. Die Hauptstadt Navarras hat knapp 200.000 Einwohner. Über die Puente de la Magdalena und das Frankentor erreichen wir das Stadtzentrum. Im bekannten Café Iruna lassen wir uns nieder und trinken Kaffee. Es ist ein herrlicher Tag heute. Das Bummeln stört mich deswegen nicht im geringsten. Ich verabschiede mich dann aber von allen. Auch wenn Keryn noch das Ziel Santiago hat, so ist es unwahrscheinlich, dass wir uns noch einmal sehen werden. Tempo und Laufleistungen sind zu unterschiedlich.
Ich kaufe noch Proviant für den heutigen Tag und Postkarten, die ich heute Abend in der Herberge schreiben möchte. Der Auszug aus Pamplona zieht sich ziemlich, immer wieder überhole ich Pilger. Ich hatte Pamplona gesehen, war zwar von der Schönheit der Stadt durchaus überzeugt, wollte aber dem Rummel wieder entgehen. ich musste raus aus der Stadt.

Durch das Portal de la Taconera verlasse
ich Pamplona
Ich hatte meine neue Kamera in Pamplona ziemlich auf Zack gehalten, blöderweise ging mir kurz danach der Saft aus. Bei meiner von zu Hause mitgenommenen Kamera hatte ich an einen Ersatz-Akku gedacht. Nun musste ich mit einem auskommen lernen. Es waren wunderbare Passagen am heutige dabei. Besonders die Landschaft vor und nach dem Alto del Perdón mit seinen berühmten Pilgerfiguren war wunderbar. Kurz vor dem Alto liegt am Hang gelegen noch das Dorf Zariquiegui. Dort finde ich eine kleine Bodega, wo ich Café, Cola und ein Croissant bestellt. Zudem gibt es einige freie Steckdosen, um meinen Fotoapparat-Akku wieder aufzuladen. Eine ältere Deutsche Dame setzt sich neben mich. Sie erzählt mir, dass sie unter dem "Burnout"-Syndrom leider würde. Man hört den Begriff heute beinahe täglich, sodass ich nicht weiß, ob sie die Krankheit selbst diagnostiziert hat oder doch ein Fachmann ihr dies attestierte. Wenn man unter dieser Krankheit leider, so ist der Camino ganz bestimmt eine sehr gute Therapie. Der simple Tagesablauf, die Selbstbestimmtheit wie weit man am Tag gehen will, man muss sich nur auf sich selber konzentrieren.

Auf dem Alto del Perdón
Kurz vor dem Alto del Perdón treffe ich auf ein bekanntes Gesicht. Daniel hat mich eingeholt. Der 17-jährige Eidgenosse hat Probleme mit seinem Knie, kämpft sich aber tapfer durch. Wir laufen gemeinsam zum höchsten Punkt, als abermals ein bekanntes Gesicht vor mir steht. Attila macht auf dem Alto gerade Pause. Da er keine Kamera bei sich hat, fotografiere ich den stolzen Ungarn vor den Pilgerstatuen. Ein Verkäufer bietet Getränke und Obst zum Verkauf an. ich lade die anderen beiden auf ein Getränk ein. Zusammen marschieren wir den von zahlreichen Windrädern verzierten Alto hinab. Der mit sicherlich landschaftlich schönste Abschnitt des Camino sollte nun folgen. Bis nach Puente la Reina waren wir ganz alleine auf wunderschönen Feld- und Wanderwegen unterwegs.

Die Iglesia de Santa Maria de Eunate
Die Knieschmerzen zwingen Daniel, bereits in Uterga Halt zu machen. Ich bin mir sicher, wir werden uns noch einmal irgendwo treffen, ganz unverhofft. Das sollte aber nicht mehr passieren. Ich war sehr dankbar, Daniel getroffen zu haben. Wie kamen gemeinsam in St. Jean an und überquerten zusammen bei Nebel und Regen die Pyrenäen. Danke Daniel! Mit Attila gemeinsam ging es bis zur berühmten achteckigen Iglesia de Santa Maria de Eunate. Es ist ein Umweg, keine Frage. Aber einer der sich sehr lohnt. Über riedähnliche Landschaft geht es schön bis zu dem kleinen Kirchlein, dass eine ganz besondere Ausstrahlung zu haben scheint. Als wir hineingehen, beten gerade 2 Einheimische frenetische Stoßgebete in Richtung Himmel, weshalb wir nur wenige Minuten verweilen wollen. Wir laufen weiter bis nach Obanos, wo sich unser  navarrische Camino mit jenem vom Somportpass (Camino Aragonés) vereinigt. Es ist relativ heiß, die Sonne scheint heute erbarmungslos herunter. Wir sind sichtlich motiviert, in Puente la Reina anzukommen.

Blick aus dem Herbergs-Fenster auf
die Iglesia del Crucifijo
Kurz nach 18 Uhr erreichen wir die kleine Gemeinde.
Wir bekommen zum Glück gleich in der ersten Herberge einen Schlafplatz. Zuerst sind wir nur zu 2. im Zimmer, später füllt es sich aber (leider) und auf einmal bevölkern 8 Pilger (die meisten waren Radpilger) den kleinen Raum. Es waren auch sehr wohlbeleibte Spanier darunter, es könnte laut werden heute Nacht. Einer schlief über mir. Wenn er neben dem Stockbett stand, war es fast unmöglich, seinem großen Bauch zu entfliehen. Wenn er mit seinen sicher gut und gerne 120 Kilogramm durch das Bett durchbrechen auf mich fallen würde, wäre es um mich geschehen, so viel ist sicher. Auch ein älterer Holländer ist bei uns im Zimmer. Es ist Theo, der mit dem Rad von zu Hause in die Niederlanden bis nach Santiago fahren will. Attila und ich nehmen ihn mit zum Abendessen. Nachdem wir in einer Bodega minutenlang erfolgreich ignoriert werden, suchen wir uns ein anderes Restaurant. Ein Einheimischer gibt uns einen guten Tipp und wir essen ausgezeichnet. In der Herberge schreibe ich noch in mein Tagebuch und die in Pamplona gekauften Karten. Leider setze ich mich mit meinem Wunsch, das Fenster über nach zu öffnen, nicht durch. Dementsprechend schlecht war die Luft in dem kleinen Raum dann auch. Ein italienischer Pilger suchte zu später Stunde zu allem Überfluss noch seine Kamera, war felsenfest überzeugt, dass er bestohlen wurde, ehe er sie - welch großartiges Wunder! - in einer seiner schmutzigen Fahrradtaschen sicher verstaut doch noch fand. Die ganze Aufregung umsonst, 7 Leute umsonst des Diebstahls verdächtigt und am Ende waren doch alle froh, dass er nun endlich Ruhe gab. Die Radpilger waren überhaupt äußerst dreckig. Sowohl sie selber als auch deren Utensilien. Es hatte heute Morgen noch leicht geregnet, der Matsch war überall zu sehen. Mit der Hoffnung, dass das Stockbett den gewaltigen Lasten der heutigen Nacht nicht nachgeben möge, schlafe ich schließlich ein.

Donnerstag, 23. Mai 2013

Tag 53: Roncesvalles - Trinidad de Arre

Von Roncesvalles nach Trinidad de Arre
Distanz: 38,3 KM
Unterkunft Trinidad de Arre: Hermanos Maristas

Treppen auf dem Camino
Ich laufe alleine weiter. Ich will wieder meinen eigenen Rhythmus laufen können, nicht Rücksicht nehmen müssen. Außer Daniel kann keiner mein Tempo mitgehen, soviel ist klar. Die letzten Tage haben mich körperlich nicht gefordert. Vorgestern nur 4 Kilometer bis St. Jean, gestern 25 Kilometer nach Roncesvalles - ich kann und will mehr! Der beinahe freie Tag in St. Jean hat mir sehr gut getan - ich fühle mich sehr stark! Die neuen Schuhe sind fantastisch - sie benötigten kein langes Einlaufen. So gehe ich bei regnerischem Wetter los. Aufgrund der hohen Bettenanzahl in Roncesvalles, treffe ich bald Massen von Pilgern. Ich will sie so schnell als möglich hinter mir lassen. Roncesvalles bzw. natürlich St. Jean für jene, welche die Pyrenäen unbedingt bewältigen wollen, sind sehr beliebte Startpunkte für den Camino. Der Camino Francés als solcher beginnt ja auch dort. Gestern hörte ich noch einen US-Amerikaner nach Hause telefonieren. Er hatte seinen ersten Pilgertag und war komplett fertig. Dementsprechend jammerte er auch über das böse Wetter, die bösen Berge und überhaupt sei er sehr fertig. Ich weiß nicht, mit was für Vorstellungen manche Pilger nach Spanien reisen. Der Film "The Way" wird wohl viele für den Camino inspirieren. Er erzählt aber nur eine Teilwahrheit. Was nicht erwähnt wird, muss hart erlernt werden. Ich habe aber kein Mitleid - das ist Teil des Caminos und das ist auch gut so. Wäre es nur ein gemütlicher Spaziergang, würde manches, ja Essentielles fehlen. Das Leiden, psychisch wie physisch, das Nichtwissen, das Unbekannte - all das macht die Erfahrung des Camino aus - deswegen fasziniert er mich dermaßen.

Die Brücke nach Trinidad de Arre
Irgendwann höre ich hinter mir Schritte auf mich zu kommen. Das ist höchst ungewöhnlich. Ich blicke mich nicht um, laufe immer weiter, erhöhe das Tempo noch. Es ist Daniel. Als ich vor einem Cola-Automaten stehe und mir eine Dose rausholen will, holt er mich ein. Es ist heute aber nur ein sehr kurzes Gespräch. Es scheint klar, dass wir heute beide unseren eigenen, einsamen Weg gehen wollen. Schnellen Schrittes ist der 17-jährige Schweizer weg - er hat heute ein unglaubliches Tempo. Es ist nicht das letzte Mal, dass wir uns begegnen werden. Ich überhole auch eine blonde Pilgerin um die 30, die sichtlich schwer zu kämpfen hat. Ich lächle ihr zu, überlege noch ihr meine Hilfe anzubieten, weiß aber nicht ob sie denn überhaupt Hilfe benötigt, bzw. haben will. So überhole ich sie. Später stellt sich heraus, dass sie die Cousine von Keryn aus Australien ist, die ich in der Pilgerherberge treffen werde. Ansonsten hat sich das Feld der Pilger super aufgeteilt. Ich treffe nicht viele an. Viele werden am Anfang ihres Camino sein und langsamer anfangen bzw. nicht so viele Kilometer laufen.

Australisch-Britische Pilgerfreundschaft
Nach Pamplona wäre es jetzt nicht mehr weit. Vielleicht noch knappe 5 Kilometer. Ich mag heute aber nicht mehr weitergehen. Die wunderschöne Brücke in Trinidad tat dann noch das ihrige dazu, hierzubleiben. Gleich nach der Brücke ist auf der rechten Seite die Pilgerherbe situiert. Ein älterer Mann ist sehr freundlich und weist mir ein Bett zu. Er erzählt, dass er die Pilgerpässe sehr genau überprüft, da immer mehr Low-Budget-Touristen den Camino bevölkern würden und den Pilger die Plätze wegnehmen. Nur deswegen zeigen ich ihm alle meine Credentials, mittlerweile sind es ja schon 4. Er freut sich sichtlich und fragt interessiert nach meinem bisherigen Weg. Der Hospitalero gibt auch infos, wo man gut und billig essen können. Der Schlafsaal ist bereits gut gefüllt. Es sind sehr viele Amerikaner und Australier in der Herberge. Sie machen beinahe alle ein Nickerchen.

Zum ersten Mal treffe ich heute auch auf Attila. Der Ungar ist Mitte/Ende 20 und ist von St. Jean aus losgelaufen. Er würde mir in der Folge immer wieder begegnen. Ab und zu werden wir auch miteinander ein Stück des Weges gehen. Attila arbeitete in Wien, sodass es auch darüber einiges zu reden gibt. Als ich ihm erzähle in Vorarlberg los"gelaufen" zu sein, mißversteht er mich. Er meint, ich würde jeden Tag mit Joggingschuhen rund 40 Kilometer weit laufen, also joggen würde. Ich begreife das Mißverständnis nicht und wundere mich über seine übermäßige Reaktion. Ich verstehe mich auf anhieb gut mit einer Australisch-Britischen Gruppe. Wir beschließen am Abend zusammen essen zu gehen. Es ist auch eine Gruppe junger Amerikaner(Innen) da. Deren "Führer" erzählt, dass es sich um gehandicapte Menschen handle, die am Camino lernen sollen, selbständig zu sein und an sie gestellte Aufgaben zu bewältigen. ich bewundere ihn. Er ist sehr geduldig und freundlich - das muss er für den job auch sein. Wir trinken dann später noch zusammen in einer Bodega ein Bier. Da ich mich mit den heutigen Pilgerbekanntschaften sehr gut verstehe, wird es heute ein wenig später. So gegen halb zehn lag ich aber wieder in meinem Bett. Auf der gegenüberliegenden Seite beschwerte sich ein sichtlich erregter Pilger, dass es schon sehr spät sei und er schlafen wolle, wir sollen unser Geschnatter sein lassen. Ich habe heute keine Lust, diplomatisch zu sein und schimpfe meinerseits hinüber, dass ich gewillt sei die Bettruhe einzuhalten, aber es noch zu früh dazu sei. Der Alkohol verstärkte meine Argumentation sichtlich und es war klar, dass es keine Lösung geben kann. Der Pilger ist sichtlich fertig mit den Nerven, läuft wahrscheinlich gerade seinen 2. Tag und ist überfordert. Am nächsten Morgen wird er uns auch nicht einmal mehr grüßen. Er antwortet auch nicht auf unser ernst gemeintes "Buen Camino" und verlässt die Pilgerherberge wortlos. Nur einen bösen Blick gibt er uns zum Abschied mit. Es muss sehr hart sein, den Camino so bewältigen zu müssen. So überhaupt nicht zentriert und in sich ruhend. Ich war in den ersten Tagen auch sehr schwach und hatte große Mühen. So unwirsch war ich dann doch aber nie.

Mittwoch, 22. Mai 2013

Tag 52: St. Jean Pied de Port - Roncesvalles

Von St. Jean Pied de Port nach Roncesvalles
Distanz: 24,9 KM
Unterkunft Roncesvalles: Albergue de la Colegiata

Vor dem Portal St. Jacques, einem Stadttor
in St. Jean Pied de Port
Es war eine recht erholsame Nacht. Der gestrige ruhige Tag hat mir sichtlich sehr gut getan. 2 Drittel meines langen Weges sind jetzt bereits hinter mir. Um mich herum jedoch ein Großteil der Pilger, die gerade erst ihren Camino beginnen. Teilweise sind die Anfangspilger noch an ihren neuen Kleidungsstücken und Ausrüstungsgegenständen zu erkennen. Sogar Preisschilder baumeln noch hin und wieder an den neuen Rucksäcken oder Regenjacken. Ich fühle mich mit meinen neuen Salomon startklar für die 3. finale Etappe. St. Jean ist wohl jener Ort auf dem Camino Francés, von dem aus sich die meisten Pilger auf den Weg nach Santiago machen (mit Ausnahme der Kurzpilger). Die Pyrenäen gilt es zu überwinden. Für viele sicher eine echte Herausforderung, ein echtes Highlight. Auch für mich. Ich würde nicht am ersten Tag gleich so eine strapaziöse Etappe haben wollen. Aber immerhin geht sie "nur" knappe 25 Kilometer bis zum fast standardmäßigen Etappenort Roncesvalles, dem ersten CF-Ort auf spanischem Boden. Manche Pilger starten diese Etappe auch erst kurz nach St. Jean, in Honto oder Orrison, um nicht alle Höhenmeter an einem Tag machen zu müssen. Oder aber auch einfach um dem Trubel in St. Jean entgehen zu können. Es ist jetzt Ende Mai und die Hauptpilgerzeit hat wohl voll eingesetzt. Aufgrund der Länge meines Unterfangens ging es sich aber zeitlich nicht anders aus, obwohl ich Hauptpilgerzeiten gerne vermieden hätte. Früher hätte ich ob der winterlichen Zustände in der Schweiz nicht aufbrechen können. Später wär es nicht besser geworden, da in Spanien sehr heiß.

Bodenmarkierung in St. Jean - von nun an
führen aber gelbe Pfeile nach Santiago
So passiere ich die "Port d´Espagne" und lasse mich von zahlreichen Pilgern aus dem kleinen St. Jean hinaustreiben. Daniel ist mit einer Gruppe bereits aufgebrochen. Er will um jeden Preis die Bergetappe bestreiten und das Val Carlos außen vor lassen - den Ratschlag der Pilgerinformation ignorieren. Ich liebe die Berge und klar - ich würde auch viel lieber über die Pyrenäen laufen, aber nicht wenn es zu risikoreich wird. Meine Entscheidung wird mir wieder einmal schnell durch meine eigene Unachtsamkeit abgenommen. Ich ließ die Abzweigung ins Val Carlos gedankenversunken unbeachtet hinter mir und laufe einfach daran vorbei. Ich schließe relativ schnell auf Daniel auf. Der 17-jährige Schweizer läuft mit 4 älteren Franzosen und einem Kanadier von der Herberge in Richtung Pyrenäen. Ich schließe mich an. Auch eine Gruppe von 4 älteren italienischen Pilgern ist unterwegs. Der Kanadier heißt Alex. Er ist vielleicht Anfang 20 und ist von Le Puy aus gestartet. Er ist also gerade bei der Hälfte seines Camino angelangt. Daniel, der von Genf aus gestartet ist, Alex und ich gehen ein ähnlich schnelles Tempo. Durch den gestrigen fast komplett freien Tag fühl ich mich sehr stark. Gehe ich ansonsten aufwärts eher langsamer, so geht es heute ungleich besser. Das Wetter ist heute zum vergessen. Es ist kalt und der Regen begleitet uns den ganzen Tag. Von einer schöne Aussicht in die Niederungen können wir also nur träumen. Dichter Nebel umhüllt uns. Ich denke an den verunglückten Brasilianer. Bei Nebel und keinen Bodenmarkierungen ist es wirklich ein wenig leichtsinnig, über den Berg gehen zu wollen. Wir sind aber nicht allein. Eine Vielzahl an Pilgern geht bei diesen widrigen Verhältnissen über den Berg nach Roncesvalles.

Noch 765 Kilometer bis zur Apostelstadt
Unterwegs treffen wir auf eine Ungarin. Ihr Name ist Vivi. Sie friert und wundert sich ob des Wetters. Als Ungarin hat sie mit den Bergen nicht viel zu tun. Sie hat viel zu wenig passende Kleidung dabei und moniert nur ständig, dass dies für Spanien doch nicht normal sein könne. ich gebe ihr mein Fließ. Sie ist dankbar. So gehen wir in der Vierergruppe immer weiter bergauf. Unterwegs gibt es einen kleinen improvisierten Stand. ein kleiner Bus mit einer kleinen aufgespannten Plane steht dort. Ein Mann verkauft dort heiße Getränke und lässt sie sich auch gut bezahlen. Ich "schmeiße" eine Runde Kakao bzw. Tee. Das unwirtliche Wetter lässt uns aber schnell weitergehen. Die letzten Schneefelder sind beinahe zur Gänze verschwunden, die Asphaltstraße ist ohnehin komplett frei. Wir kommen zum Rolandsbrunnen, der noch schnell für diverse Fotos herhalten muss. Kurz danach passieren wir die Staatsgrenze - nach 52 Tagen hatte ich nun endlich Spanien erreicht! Wir betraten die Region Navarra.
Vivi und Alex waren bereits deutlich von Wind und Wetter gezeichnet. Die Höhenmeter taten das Übrige dazu. Es galt schnell nach Roncesvalles zu kommen.
Lieb gewordene Symbole auf dem Weg
Die Wege durch die üppigen Eichenwälder waren sehr rutschig, es galt aufmerksam zu bleiben. Mit dem Profil meiner neuen Schuhe fühlte ich mich wieder sehr sicher bei meinen Schritten. Um kurz nach 13 Uhr hatten wir es dann geschafft: das Gemäuer von Roncesvalles lag vor uns. Vor der Anmeldung zur Pilgerherberge standen bereits zahlreiche Pilger. Ob der Größe der Herberge hatten wir aber wohl nichts zu befürchten. Die Anmeldungen liefen problemlos ab - dort ist man große Pilgermassen gewohnt. Bei mir wurde jedoch noch argwöhnisch gefragt, von wo aus ich gestartet sei, da kein Stempel von St. Jean in meinem neuen französischen Credential vorhanden war. Ich zeigte meinen vorigen Pilgerpass und bekam meine Bettenmarke, nachdem ich bezahlt hatte. Roncesvalles war mir sehr unsympathisch. Viel zu viele Pilger, zu wenig sanitäre Anlagen. Auch das Abendessen war eine Massenabfertigung. Man musste zuvor eine Reservierungsmarke lösen, ehe man dann unter 2 Terminen sein Essen vorgesetzt bekam. Es war alles andere als gemütlich. Man konnte nach dem Essen auch nicht sitzen bleiben, sondern musste der nächsten Runde von hungrigen gleich den Platz räumen. Aber wir konnten doch zuvor noch ein paar Bier trinken und uns mit anderen Pilgern austauschen. Der Kaffee war köstlich und kostete nun wirklich nurmehr ein Euro. Ich war in Spanien - große Dankbarkeit machte sich in mir breit - und Zuversicht, die Apostelstadt tatsächlich erreichen zu können. Es war kein Traum mehr - es ist möglich. Ich lebe einen Traum und jeden Tag komme ich ihm näher. Was für ein Privileg, diesen Weg gehen zu dürfen. Was für ein Privileg ihn gehen zu können.