Donnerstag, 23. Mai 2013

Tag 53: Roncesvalles - Trinidad de Arre

Von Roncesvalles nach Trinidad de Arre
Distanz: 38,3 KM
Unterkunft Trinidad de Arre: Hermanos Maristas

Treppen auf dem Camino
Ich laufe alleine weiter. Ich will wieder meinen eigenen Rhythmus laufen können, nicht Rücksicht nehmen müssen. Außer Daniel kann keiner mein Tempo mitgehen, soviel ist klar. Die letzten Tage haben mich körperlich nicht gefordert. Vorgestern nur 4 Kilometer bis St. Jean, gestern 25 Kilometer nach Roncesvalles - ich kann und will mehr! Der beinahe freie Tag in St. Jean hat mir sehr gut getan - ich fühle mich sehr stark! Die neuen Schuhe sind fantastisch - sie benötigten kein langes Einlaufen. So gehe ich bei regnerischem Wetter los. Aufgrund der hohen Bettenanzahl in Roncesvalles, treffe ich bald Massen von Pilgern. Ich will sie so schnell als möglich hinter mir lassen. Roncesvalles bzw. natürlich St. Jean für jene, welche die Pyrenäen unbedingt bewältigen wollen, sind sehr beliebte Startpunkte für den Camino. Der Camino Francés als solcher beginnt ja auch dort. Gestern hörte ich noch einen US-Amerikaner nach Hause telefonieren. Er hatte seinen ersten Pilgertag und war komplett fertig. Dementsprechend jammerte er auch über das böse Wetter, die bösen Berge und überhaupt sei er sehr fertig. Ich weiß nicht, mit was für Vorstellungen manche Pilger nach Spanien reisen. Der Film "The Way" wird wohl viele für den Camino inspirieren. Er erzählt aber nur eine Teilwahrheit. Was nicht erwähnt wird, muss hart erlernt werden. Ich habe aber kein Mitleid - das ist Teil des Caminos und das ist auch gut so. Wäre es nur ein gemütlicher Spaziergang, würde manches, ja Essentielles fehlen. Das Leiden, psychisch wie physisch, das Nichtwissen, das Unbekannte - all das macht die Erfahrung des Camino aus - deswegen fasziniert er mich dermaßen.

Die Brücke nach Trinidad de Arre
Irgendwann höre ich hinter mir Schritte auf mich zu kommen. Das ist höchst ungewöhnlich. Ich blicke mich nicht um, laufe immer weiter, erhöhe das Tempo noch. Es ist Daniel. Als ich vor einem Cola-Automaten stehe und mir eine Dose rausholen will, holt er mich ein. Es ist heute aber nur ein sehr kurzes Gespräch. Es scheint klar, dass wir heute beide unseren eigenen, einsamen Weg gehen wollen. Schnellen Schrittes ist der 17-jährige Schweizer weg - er hat heute ein unglaubliches Tempo. Es ist nicht das letzte Mal, dass wir uns begegnen werden. Ich überhole auch eine blonde Pilgerin um die 30, die sichtlich schwer zu kämpfen hat. Ich lächle ihr zu, überlege noch ihr meine Hilfe anzubieten, weiß aber nicht ob sie denn überhaupt Hilfe benötigt, bzw. haben will. So überhole ich sie. Später stellt sich heraus, dass sie die Cousine von Keryn aus Australien ist, die ich in der Pilgerherberge treffen werde. Ansonsten hat sich das Feld der Pilger super aufgeteilt. Ich treffe nicht viele an. Viele werden am Anfang ihres Camino sein und langsamer anfangen bzw. nicht so viele Kilometer laufen.

Australisch-Britische Pilgerfreundschaft
Nach Pamplona wäre es jetzt nicht mehr weit. Vielleicht noch knappe 5 Kilometer. Ich mag heute aber nicht mehr weitergehen. Die wunderschöne Brücke in Trinidad tat dann noch das ihrige dazu, hierzubleiben. Gleich nach der Brücke ist auf der rechten Seite die Pilgerherbe situiert. Ein älterer Mann ist sehr freundlich und weist mir ein Bett zu. Er erzählt, dass er die Pilgerpässe sehr genau überprüft, da immer mehr Low-Budget-Touristen den Camino bevölkern würden und den Pilger die Plätze wegnehmen. Nur deswegen zeigen ich ihm alle meine Credentials, mittlerweile sind es ja schon 4. Er freut sich sichtlich und fragt interessiert nach meinem bisherigen Weg. Der Hospitalero gibt auch infos, wo man gut und billig essen können. Der Schlafsaal ist bereits gut gefüllt. Es sind sehr viele Amerikaner und Australier in der Herberge. Sie machen beinahe alle ein Nickerchen.

Zum ersten Mal treffe ich heute auch auf Attila. Der Ungar ist Mitte/Ende 20 und ist von St. Jean aus losgelaufen. Er würde mir in der Folge immer wieder begegnen. Ab und zu werden wir auch miteinander ein Stück des Weges gehen. Attila arbeitete in Wien, sodass es auch darüber einiges zu reden gibt. Als ich ihm erzähle in Vorarlberg los"gelaufen" zu sein, mißversteht er mich. Er meint, ich würde jeden Tag mit Joggingschuhen rund 40 Kilometer weit laufen, also joggen würde. Ich begreife das Mißverständnis nicht und wundere mich über seine übermäßige Reaktion. Ich verstehe mich auf anhieb gut mit einer Australisch-Britischen Gruppe. Wir beschließen am Abend zusammen essen zu gehen. Es ist auch eine Gruppe junger Amerikaner(Innen) da. Deren "Führer" erzählt, dass es sich um gehandicapte Menschen handle, die am Camino lernen sollen, selbständig zu sein und an sie gestellte Aufgaben zu bewältigen. ich bewundere ihn. Er ist sehr geduldig und freundlich - das muss er für den job auch sein. Wir trinken dann später noch zusammen in einer Bodega ein Bier. Da ich mich mit den heutigen Pilgerbekanntschaften sehr gut verstehe, wird es heute ein wenig später. So gegen halb zehn lag ich aber wieder in meinem Bett. Auf der gegenüberliegenden Seite beschwerte sich ein sichtlich erregter Pilger, dass es schon sehr spät sei und er schlafen wolle, wir sollen unser Geschnatter sein lassen. Ich habe heute keine Lust, diplomatisch zu sein und schimpfe meinerseits hinüber, dass ich gewillt sei die Bettruhe einzuhalten, aber es noch zu früh dazu sei. Der Alkohol verstärkte meine Argumentation sichtlich und es war klar, dass es keine Lösung geben kann. Der Pilger ist sichtlich fertig mit den Nerven, läuft wahrscheinlich gerade seinen 2. Tag und ist überfordert. Am nächsten Morgen wird er uns auch nicht einmal mehr grüßen. Er antwortet auch nicht auf unser ernst gemeintes "Buen Camino" und verlässt die Pilgerherberge wortlos. Nur einen bösen Blick gibt er uns zum Abschied mit. Es muss sehr hart sein, den Camino so bewältigen zu müssen. So überhaupt nicht zentriert und in sich ruhend. Ich war in den ersten Tagen auch sehr schwach und hatte große Mühen. So unwirsch war ich dann doch aber nie.

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