Sonntag, 5. Mai 2013

Tag 35: Espeyrac - Livinhac-le-Haute

Von Espeyrac nach Livinhac-le-Haute
Distanz: 36,5 KM
Unterkunft Livinhac-le-Haute: Gîte Communal


Am 35. Tag war ich wieder alleine auf
meinem Camino unterwegs
Ich hatte heute nicht gut geschlafen, obwohl ich ganz alleine in der Herberge war. Der plötzliche Abschied von Martina hatte mich aufgewühlt. Ich wachte bereits vor 6 Uhr auf und wollte nur noch weiterlaufen. Die geschwollene Stelle im Bein schien sich leicht zu bessern, ich spürte sie aber natürlich schon noch. An einem herrlich sonnigen Morgen machte ich mich alleine wieder auf den Weg. Nur ein paar lichte Nebelschwaben lagen über Espeyrac. Ich hatte meine Freiheit wieder, so viel war klar. Ich kam auch sehr gut voran. Ich beging ganz wunderbare, einsame Wege diesen Morgen. Sénegues, mit seinem kleinen aber sehr schönen mittelaterlichen Kern war schnell erreicht. Ohne lange Pause ging es gleich weiter. Es war ein Sonntag Morgen, kein Geschäft hatte offen. Saftige grüne Hügel waren die Bühne der heutigen Etappe. Ich hatte mich gestern oder heute gar nicht groß mit dem Führer auseinandergesetzt, ich lief einfach vor mich hin. In der Zeit als ich mit Martina lief, brauchte ich dies auch nicht. Sie tat es. Und die Markierungen waren ohnedies immer perfekt vorhanden. Umso größer war dann meine Überraschung, als ich einen mir wohl bekannten Stadtnamen auf einem Ortsschild las: ich war in Conques angekommen.
Am 35. Tag meines Camino war Conques erreicht
Die kleine Stadt mit ihrer Abteikirche ist ein absoluter Höhepunkt auf der Via Podiensis. Als ich das Kleinod betrete, bin ich ganz alleine. Nebelbänke stiegen gerade von der Stadt in den blauen Himmel. Diesen Stimmungsmoment werde ich nie mehr vergessen. Es sind nur einzelne Menschen zu sehen. Die Stadt gehörte in diesem Moment fast mir alleine. Über die Pont des Roumieux verlasse ich Conques. Es geht ein kurzes Stück steil bergauf bis zur Chapelle Ste Foy. Von dort aus hat man einen einmaligen Blick auf Conques. Es sind viele Menschen bei der Kapelle, auch wenn es nicht klar ist, wer wirklich Pilger ist und wer Tourist. Überaus übergewichtige US-Bürger packen alle dem Camino zuordenbaren Klischees aus und zitieren Sätze aus dem Film "My Way". Ich mag diesen Film sehr, aber das, was er zu jenem Zeitpunkt für den Camino getan hat gefällt mir nicht. In der Folge soll ich zahlreiche übergewichtige US-Pilger antreffen, deren Antrieb sich auf den Camino zu begeben durch das Schauen dieses Films begründet lag. Mit dementsprechend falschen Vorstellungen waren sie dann meistens auch vom Camino enttäuscht - die Realtiät ist wohl doch eine andere. 

Die Chapelle St. Roch kurz vor Livinhac-le-Haute
Ich fühle mich heute richtig stark. Das schöne Wetter und die Gewissheit, dass es meinem Bein wohl bald wieder besser gehen würde, trieben mich an. Ich treffe nur auf sehr wenige Pilger, was mir am heutigen Tag ganz recht ist. Kurz vor dem heutigen Etallenziel - Livinhac-le-Haute - geht es noch einmal bergauf. Die Chapelle Saint Roch begrüßt den Pilger, eher es bergab in Richtung Etappenziel geht. Als ich das kleine Städchen betrete finde ich sogleich die Gîte Communal direkt am Weg. Ich muss warten, bis die Besitzer der Herberge da sind. So stelle ich meinen Rucksack ab, und will in der Zwischenzeit was trinken gehen und mein Tagebuch beschreiben. Da bemerke ich, dass ich es nicht finden kann. Was für ein Schock! Neben meinen Fotos und den Credentials war das Tagebuch mein ein und alles. Daraus würde ich noch viele Jahre nach meinem Weg lesen wollen, vielleicht sogar meinen Kindern daraus vorlesen, wenn ich denn je welche haben würde. Mir war bald klar, dass ich es in der Kapelle Saint Roch wohl vergessen hatte. Für den Moment war ich zu müde, um noch einmal den Hügel hinaufzulaufen und beschloss, am nächsen Tag nocheinmal in die andere Richtung zu laufen. Das Buch war mir zu wichtig, um es zurückzulassen zu können. Zudem wollte ich nicht, dass irgendjemand meine persönlichen Gedanken würde lesen können. 

Livinhac-le-Haute - Ziel meines 35. Camino-Tages
Ich setze mich in ein Café-Restaurant direkt neben der imposanten Kirche. Am Nachbartisch sitzen 3 junge Pilger - sie sehen meinen deutschsprachigen Pilgerführer und reden mich an. Ich setze mich zu ihnen und wir unterhalten uns sehr gut. Es gibt viele Möglichkeiten, den Camino zu gehen. Im Gespräch mit den Dreien wird mir klar, dass ich sehr fokussiert bin, Santiago auch wirklich erreichen zu können. Andere Pilger nehmen den Weg gemütlicher. Sie wollen vielleicht auch ein Ziel erreichen, jedoch scheint der Weg oft deren Ziel zu sein. Irgendwie beneide ich sie für diese Einstellung. Raphael, ein Schweizer Pilger hatte ein Handy mit dabei. Als ich ihm vom Verlust meines Tagebuches berichte, sucht er promt die Telefonnummer von der Herberge gegenüber der Kapelle St. Roche heraus und ruft dort an. Er fragt nach, ob mein Tagebuch zufällig dort gefunden wurde. Und welch Glück: es wurde. Ich hatte es beim stempeln in der Kapelle liegen lassen. Raphael gibt Bescheid, dass ich es morgen Früh werde holen kommen. Ich bedanke mich bei Raphael sehr für seine Hilfe und schenke ihm eine kleine Karte, auf der der Erzengel Raphael abgebildet ist. Das passte ja perfekt. Ich bekam die Karte von Hospitalera Regula in Brienzwiler geschenkt. Die Karte brachte mir Glück und sollte nun dem nächsten dieselben Dienste tun.

Am Abend sollte ich noch auf Martina treffen. Sie war sichtlich überrascht mich zu sehen. Ihre Eitelkeit war gekränkt - ich war ohne sie weiter und schneller gelaufen. Mich überraschte das nicht. Das Camino-Training machte mich jedem Tag stärker. Die 3 jüngeren Pilger und Martina waren in einer 2., privaten Herberge untergebracht. Sie sagten, ich solle am Abend bei ihnen zum Abendessen vorbeikommen Jeder könne kommen, der Hospitalero sei sehr nett. Ich nahm das gerne an und es war ein herrlicher Abend mit interessanten Menschen. Alle halfen beim Kochen/Aufräumen. Man warf dann in eine Kasse einen Betrag hinein, den man für angemessen hielt.

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