Montag, 27. Mai 2013

Tag 57: Navarrete - Santo Domingo de la Calzada

Von Navarrete nach Santo Domingo de la Calzada
Distanz: 38,7 KM
Unterkunft Santo Domingo de la Calzada: Albergue de Peregrinos Cisterciense de Nuestra Señora de la Anunciación


Die Kilometer werden weniger
Das Wetter meint es heute zu Beginn alles andere als gut. Es regnet fast durchgehend. Ich laufe jedoch durch wunderbare Landschaften. Die Wege sind meist sehr gut befestigt - ich muss also nicht im Schlamm laufen. Jeder Kilometer wird jetzt angezeigt. Auf der einen Seite freut man sich, weil man die Kilometer langsam und kontinuierlich schwinden sieht. Auf der anderen Seite wird einem dadurch natürlich auch klar, dass das Ziel näher kommt, ein Plan für das Danach unumgänglich benötigt wird. Wie wird das Ankommen zu Hause sein - wie wird die Umgebung reagieren? Wie wird es mir dabei gehen? Ich weiß es noch nicht. Knapp 600 Kilometer noch bis zur Apostelstadt. Kurz vor Ventosa redet mich ein Dorfbewohner an. Er fragt mich, woher ich komme und wie es mir auf meinem Camino ergehe. Er staunt ein wenig, als ich ihm meinen Ausgangspunkt preisgebe. Er wünscht mir einen guten Weg und verabschiedet sich. Ich beschließe, in Ventosa zu frühstücken. In einer kleinen Bodega gibt es Schoko-Croissants und Café con Leche. Einige Arbeiter aus dem Dorf sind auch am Café trinken, manch einer genehmigt sich bereits ein erstes Bier. In Nájera esse ich 2 Tostadas und trinke eine Cola. Die hübsche Kellnerin schenkt mir nach dem Zahlen einige Kaffee-Schokoladen und wünscht mir einen guten Camino. Sie scheint Mitleid mit mir zu haben, als sie sich vor der Türe der Bodega noch einmal verabschiedet und skeptisch gen Himmel schaut. Das Wetter wurde aber im Laufe des Tages immer besser.

Kurz vor Nájera erregte trotz strömenden Regens ein auf eine Wand geschriebenes Gedicht meine Aufmerksamkeit:

Staub, Schlamm, Sonne und Regen,
das ist der Weg nach Santiago.
Tausende von Pilgern
und mehr als tausend Jahr.
Wer ruft Dich Pilger?
Welch geheime Macht lockt Dich an?
Weder ist es der Sternenhimmel,
noch sind es die großen Kathedralen
Weder die Tapferkeit Navarras,
noch der Rioja-Wein.
Nicht die Meeresfrüchte Galiziens
und auch nicht die Felder Kastiliens.
Pilger wer ruft Dich?
Welch geheime Macht lockt Dich an?
Weder sind es die Leute unterwegs,
noch sind es die ländlichen Traditionen.
Weder Kultur und Geschichte,
noch der Hahn Santo Domingos.
Nicht der Palast von Gaudi
und auch nicht das Schloss Ponferradas.
All dies sehe ich im Vorbeigehen
und dies zu sehen ist, ist Genuss.
Doch die Stimme, die mich ruft
fühle ich viel tiefer in mir.
Die Kraft die mich voran treibt,
die Macht die mich anlockt.
Auch ich kann sie mir nicht erklären
das kann allein nur Er dort oben!
E.G.B.

Kurz vor Santo Domingo de la Calzade
Nach heute knapp 40 Kilometern Tagespensum erreiche ich Santo Domingo de la Calzada. Sicherlich einer der bekanntesten Orte auf dem Camino Francés. Speziell die letzten Kilometer waren fantastisch schön zu bewandern. Endlos scheinende Wege führten mich durch große Wiesen und Agrarflächen. Santo Domingo ist dann von der letzten Erhebung bereits deutlich von weitem zu sehen. Ich versuche im ersten Refugio mein Glück und bekomme dort auch ein Bett. Die Hospitalera bei der Anmeldung hat große Probleme, meine Nationalität zu begreifen und ist bis zum Schluss davon überzeugt, dass es bei mir zu Hause Kängurus geben müsse.  

Gasse in Santo Domingo
Mir ist ihre Ignoranz egal. Nach einer Französin auf dem Weg nach Condom ist es bereits die 2. Bekanntschaft auf dem Camino, die mit dem Begriff Österreich nichts anfangen kann. Ich mach mir Sorgen um das Bildungssystem in Europa, lass es dann aber bleiben. In meinem Zimmer liegen bereits zahlreiche Pilger in ihren Betten und ruhen. Diesmal sind viele asiatische und US-Pilger in der Herberge. Es gibt einen großen Aufenthaltsraum mir einer Kochnische. Auch ein Kaminfeuer flackert lustig vor sich hin und macht den an sich recht kühlen Raum einigermaßen gemütlich. Ich bediene mich an dem dort aufgestellten Getränkeautomaten und schreibe auf einem großen Tisch Tagebuch. Eine Holländerin setzt sich zu mir. Ich biete ihr und einem weiteren Pilger Schokokekse an - sie nehmen die Einladung gerne an. Die Frau erzählt mir nicht ohne Stolz, dass sie von Vézelay aus gestartet sei und jetzt bereits den 44. Tag unterwegs sei.
Ich höre mir ihre Worte an. Zum reden komme ich fast nicht, sie scheint sehr mitteilungsbedürftig zu sein. Sie mag sichtlich gelobt werden. ich zeuge ihr auch Respekt für ihre großartige Leistung. Irgendwie hegte ich wohl die Hoffnung, sie würde mich fragen, später gemeinsam Abendessen zu gehen, denn ich wollte heute Abend nicht alleinig sein. Sie tut es nicht, obwohl ich die Restaurants der Umgebung gezielt zum Thema mache. So gehe ich dann widerstrebend alleine essen.  

Statuen über einem Portal der Kathedrale Santo Domingos
Ich laufe untertags sehr gerne alleine. Ich suche sogar die Einsamkeit. Am Abend schaut es aber ab und zu anders aus, da hätte ich öfters gerne jemanden zum reden. So setze ich mich alleine an einen Zweiertisch. Es sind noch weitere Pilger anwesend. Im Laufe der Zeit füllt sich das Lokal. Das Essen ist alles andere als gut. Was für ein Unterschied zu gestern Abend. So nette Menschen gestern, heute komme ich mir völlig alleine und isoliert vor.
 Die Kathedrale Santo Domingos konnte ich heute nicht besuchen. Es fand gerade eine Trauermesse statt. Eigentlich war es mir auch egal. Ich hatte schon so viele Götteshäuser auf meinem langen Weg besucht. Das legendäre "Federvieh" Santo Domingos konnte mir heute auch gestohlen bleiben. So ging ich alsbald zurück in die Herberge und schlief mit dem MP3-Player im Ohr bald sehr tief ein.

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