Dienstag, 30. April 2013

Tag 30: Monistrol - d´Állier - Les Faux

Von Monistrol - d´Állier nach Les Faux
Distanz: 39,5 KM
Unterkunft Les Faux: Gîte/Hôtel L´Oustal de Parent

Der Camino - heute von Regen und Nebel umhüllt
Ich laufe mit Martina weiter. Wir haben das nicht wirklich ausgemacht, tun es einfach. Es regnet in Strömen, als wir uns am Morgen aufmachen. Von Gil und Robert haben wir uns nur kurz verabschiedet. Man weiß am Camino nie so genau, ob man den einen oder anderen wiedersehen wird, oder nicht. Martina wirkt sehr fit, wir werden wahrscheinlich nicht so leicht eingeholt werden und vielleicht auch den ein oder anderen Kilometer mehr machen. In dem Fall kann ich vorwegnehmen, dass wir die beiden nicht mehr angetroffen haben. Das Geschäft im Zentrum  Monistrol - d´Álliers hat heute geöffnet. Gegenüber gibt es einen Postkasten, wo ich die gestern Abend geschriebenen Karten auch einwerfen kann. Wir können dort den Proviant für die heutige Tagesetappe einkaufen. Die schnelle Pilgerin von gestern war gerade am Frühstück und wurde zusehends unruhiger, als sie uns abmarschbereit vor sich stehen sah. Auch sie hatte ich nicht mehr auf dem Camino getroffen. Sie war gestern allerdings so schnell und konstant unterwegs, dass ich mir durchaus vorstellen kann, dass sie vor mir in Santiago angekommen ist. Aber darum geht es ja nicht. Ich will nur nie zu früh in einer Herberge ankommen. Ich will am Abend erfüllt sein, von einer starken, gesunden Müdigkeit, weil ich meinem Körper einiges abverlangt habe. Mein Körper ist sehr stark geworden, er fordert eine bestimmte Kilometerzahl - das gefällt mir! Wenn ich in einen Spiegel oder in ein Glasfenster schaue, kenne ich mein Abbild fast gar nicht mehr. Ich habe definitv abgenommen und fühle mich sehr fit wie schon lange nicht mehr. Ich kann die Etappen jetzt auch steuern, kann schneller laufen, weiter gehen wenn ich das denn will.

Landschaft kurz vor Les Faux
Gerade als ich mich so ungeheuer stark fühlte, merkte ich jedoch eine leichte Druckstelle, an jener Stelle des Knies, wie die Schuhzunge aufliegt. Ich schenkte dem zunächst noch keine große Beachtung. Klar ist, dass ich mit Martina im Schlepptau auf einmal nicht mehr meinen eigenen Rhytmus lief. Ich war nicht mehr selbständig, bestimmte nicht mehr meine eigenen Pausen. Mein Körper reagierte scheinbar auf diese Änderung des Ablaufs - und leider nicht positiv. Eine der wichtigsten Regeln des Caminos ist für mich: jeder soll sein eigenes Tempo, seinen eigenen Camino laufen! Man muss auf seinen eigenen Körper hören und nicht auf den Rhythmus eines anderen. ich traf auf meinem Weg auch Ehepaare, die absolut nicht gut miteinander harmonierten. In solchen Situationen war ich froh, alleine und frei zu sein. Ich will auf niemandem Rücksicht nehmen müssen, außer mir. Ich weiß, wenn Martinas Rhytmus nicht der meinige ist, werde ich die Allianz wieder lösen müssen. Daweil hält sie aber sehr gut mit. Wir überholen viele Pilger, werden praktisch nie überholt. Es wundert mich, dass sie bereits am 2. Tag ihres Caminos solch ein Tempo und solche Distanzen gehen will. Vielleicht ist sie einfach noch sehr motiviert und frisch. Dann würde ein Absacken unweigerlich früher oder später kommen müssen. Daweil passt mir ihr Tempo ganz gut und wir laufen gemeinsam aus Monistrol - d´Állier hinaus. Die Brandblasen von meinem gestrigen Mißgeschick heilen ganz gut, tun auch fast nicht weh. Ich weiß, dass sie später sicher noch einmal mehr weh tun würden. Martina und ich unterhielten uns sehr viel. Die gebürtige Düsseldorferin lebt und arbeitet in Paris. Sie hat auch schon das ein oder andere in ihrem Leben hinter sich bringen müssen, steht aber mitten im Leben. Lediglich den richtigen Partner hat sie noch nicht gefunden. Ich bin froh, erstmals nicht alles alleine organisieren zu müssen. Sie spricht perfekt Französisch und ist - wie man es von einre Deutschen erwarten darf :-) - sehr organisiert. Mit ihrem Handy rief sie in Les Faux an und fragte nach 2 Schlafplätzen, was auch kein Problem darstellte.

Auch eine Art des Pilgerns
Unterwegs trafen wir auch auf einen von einem Esel gezogenen "Pilgerwagen". Auf dem Bock saß ein körperlich beeinträchtigter, älterer Mann, dessen Rollstuhl hinten auf dem Wagen angebracht war. Er wurde von 3 Menschen mittleren Alters flankiert. Die Herberge heute war luxeriös. Wir kamen in einem 2-Bettzimmer unter. Es störte mich in der Phase des Caminos nicht, ein wenig mehr Komfort zu haben und dem Schnarchkonzert anderer Pilger entgehen zu können. Ich konnte so viel besser laufen, wenn ich gut geschlafen hatte. Auf Dauer wollte ich jedoch dem einfach Pilgerleben treu bleiben. Das Abendessen war auch sehr gut. Es gab Suppe, Gulasch, Nudeln, Baguette und zum Dessert einen Kirsch-Zwetschkenkuchen. Wir aßen mit allen Pilgern zusammen an einem Tisch. Meist waren es Franzosen jeglichen Alters, die etappenweise bis nach Santiago pilgern wollen.    


Montag, 29. April 2013

Tag 29: Le Puy-en-Velay - Monistrol - d´Állier

Von Le Puy-en-Velay nach Monistrol - d´Állier
Distanz: 30,5 KM
Unterkunft Monistrol - d´Állier: Centre d´accueil

 
Die Schwarze Madonna in Le Puy
Es geht nun doch ohne Ruhetag weiter. Zuerst ging es um 7 Uhr zur Messe in die Kathedrale Notre-Dame. Ich komme ein klein wenig zu spät, obwohl das Gotteshaus nur wenige Minuten von meiner Herberge entfernt liegt. Obwohl ich von der Messe aufgrund der Sprachbarrieren nicht viel verstehe, so bekomme ich doch mit, dass der junge Pfarrer eine sehr lebendige, positive Predigt hält. Die Pilger, welche die Worte verstehen können, lachen des Öfteren. Am Ende trifft man sich vor dem Altar. Eine Jakobsstatue thront neben uns in der Höhe. Die Pilger sind eingeladen zu erzählen, woher sie kommen und wohin sie gehen werden. Kann sich jemand nicht verständlich machen, übersetzt ein anderer für ihn. Ich beschließe zu schweigen. Es fällt auf, dass sehr viel ältere Pilger anwesend sind. Sie kommen von überall her, wenngleich die Franzosen natürlich in der deutlichen Überzahl sind. Um die 80 bis 100 Pilger werden es in der Messe wohl gewesen sein, verglichen mit den bis jetzt angetroffenen Pilgern in der Schweiz und der Via Gebennensis eine richtige "Lawine". Ich bin sehr froh, ein Drittel des Camino fast vollständig alleine gelaufen zu sein - für mich war die Beschäftigung mit mir selber ein sehr zentrales Anliegen. Ich weiß noch nicht, wie ich es jetzt angehen werde, was auf mich zukommen wird. Mit der Via Podiensis hat der 2. große Teil meines langen Weges begonnen.

Einer der emotionalsten Momente auf
meinem Camino - das Durchschreiten
der mächtigen Pforte Le Puys
Im Anschluss gibt es in der Sakristei Pilgerpässe zu erwerben. ich nehme ein Créanciale, wobei ich bis jetzt nicht 100%ig verstehe, was der genaue Unterschied zu einem Credential sein soll. Natürlich betrachtete ich noch die berühmte "Schwarze Madonna", nach Einsiedeln bereits die zweite ihrer Art auf meinem Weg. Ich gehe in die Stadt, suche Proviant und Postkarten. Von Le Puy, einem Meilenstein auf meinem Camino, muss ich einfach schreiben. Ich verlasse die Kathedrale durch das mächtige Portal, von dem aus man die ganze Stadt unter sich ausgebreitet sieht. Viele Pilger sind um mich herum. Ich werde mit der Stadt auch heute nicht mehr warm und verlasse sie nach meinen Besorgungen umgehend. Es geht gleich zu Beginn einen Hügel hinauf. Ich tu mir schwer den Weg aus der großen Stadt zu finden und laufe einfach anderen Pilgern nach. Noch 1522 Kilometer bis nach Santiago. Das steht zumindest auf einer Tafel im Zentrum Le Puys geschrieben. Ich glaube es einfach, will es einfach glauben. Es sind ja doch nur Zahlen. Ich überhole schnell sehr viele Pilger. Es ist mir heute zu blöd jeden einzelnen Pilger zu begrüßen, ihm einen guten Weg zu wünschen. Ich will wieder alleine sein, die Massen hinter mir lassen.

"Nur" noch 1522 Kilometer bis zur Apostelstadt
Das Wetter ist alles andere als gut, die vielen Pilger ziehen tiefe Spuren in den durchweichten Boden. Der Weg wird zu einem Schlammband. Allerdings müssen es sehr schöne, fast schon alpine Gegenden sein, die ich durchlaufe. Würde ich mehr sehen können, es würde mir sicher gefallen. Auch Schulklassen sind heute auf dem Camino. Ich treffe auf 2 Franzosen mittleren Alters. Sie finden die kommunale Herberge nicht. Ich suche mit ihnen zusammen, in der Hoffnung, dort auch einen freien Platz zu bekommen. Die vielen Le Puy verlassenden Pilger lassen mich ein wenig nervös werden. Einer der beiden Franzosen zückt sein Handy und ruft bei der Ansprechperson für die Herberge an. Dieser gibt ihm und somit uns eine Lagebeschreibung. Die Herberge ist nicht weit weg. Auch für mich ist noch ein Platz frei. So um 18:00 kommt der Herbergsverwalter, kassiert die Übernachtungsgebühr und stempelt unsere Pilgerausweise ab. Auch jene blonde Pilgerin, die ich noch vor kurzem überholt hatte, steht plötzlich vor der Tür jenen Zimmers, in dem ich mich einquartiert hatte. Sie heißt Martina, ist Ende 20 und kommt aus Düsseldorf. Sie startete in Le Puy und hatte somit heute ihren ersten Pilgertag. Sie hat nur eine Woche frei bekommen und würde am liebsten bis nach Cahors kommen. ich will sie nicht desillusionieren, das wird sich aber zeitlich wohl nicht ganz ausgehen können, auch wenn sie sehr fit und schnell sein sollte.

St. Privat d´Allier
Giles, einer der beiden Franzosen, Martina und ich wollen in der Stadt etwas zum kochen kaufen. Das einzige Geschäft hat allerdings zu, Jedoch gibt es auch eine kleine Bar, wo gewisse Grundnahrungsmittel gekauft werden können. Die Schulklasse, die ich kurz nach Le Puy überholt hatte, übernachtete auch in jenem Gebäude - es muss dort also auch Herbergsräumlichkeiten geben. Wir bekommen Pasta und Tomatensauce, sowie auch ein Baguette. Wir kochen gemeinsam. Ich verbrenne mich natürlich, als ich einen über der Gasflamme heiß gewordenen Kochtopf angreife. Es tut im ersten Moment furchtbar weh. Das Essen war dann aber ganz ok. Die beiden Franzosen und Martina unterhalten sich sehr gut, ich bekomme das Meiste mit. Wenn man jemand neues auf dem Camino kennenlernt, so sind es doch immer dieselben Fragen und Smalltalk-Floskeln. Nach dem Abwasch beschreibe ich mein Tagebuch mit dem heute Erlebten. Auch die in Le Puy gekauften Karten werden beschrieben. In Le Puy gab es in der kleinen Trafik sogar eigene Jakobsweg-Briefmarken mit Motiven aller französischen Caminos. Ein Drittel meines Weges ist nun also schon hinter mir. Ich fühl mich gut, sehr gut sogar. Auch wenn ich nicht weiß, wie weit ich noch kommen werde.

Sonntag, 28. April 2013

Tag 28: St. Jeures – Le Puy-en-Velay

Von St. Jeures nach Le Puy-en-Velay
Distanz: 37,2 KM
Unterkunft Le Puy-en-Velay: Gîte Le Relais du pèlerin St-Jacques

Auch drei Tage nach dem neuerlichen
Wintereinbruch war die Landschaft weiß
Ich hatte sehr gut geschlafen heute Nacht. Erst um 07:45 verlasse ich die Herberge in St-Jeures. Es war klar: heute würde ich vielleicht mein nächstes wichtiges Etappenziel auf meinem langen Camino erreichen können: Le Puy-en-Velay. Gut 37 Kilometer wären dafür erforderlich. Es war sehr kalt und die Landschaft um mich herum war vom vielen Schnee völlig in weiß gekleidet. Ich hatte zum Teil große Probleme, alle Markierungen zu finden. Rund 1 Stunde lief ich dadurch auch einmal in die falsche Richtung. Die Landschaft - viele erloschene Vulkane säumen den Weg - ist wunderschön anzuschauen. Ich erreiche den Ort Araules. Da ich gestern Abend nur einen Müsliriegel zum Abendessen hatte und auch heute zu keinem Frühstück kam, deckte ich mich in einer Bäckerei und einem kleinen Lebensmittelgeschäft (mit komplett überzogenen Preisen) mit dem Notwendigsten ein. Die Kirche in Araules ist zunächst geschlossen. Als mich eine ältere Frau beim Versuch beobachtet, die Türe des Gotteshauses zu betreten, ruft sie mir etwas zu. 

Die Kirche Notre Dame d´Araules
Sie verschwindet vom Fenster ihres Hause und erscheint sogleich, mit einen großen Schlüssel in der Hand schwingend, vor der Kirche. Sie erklärt mir, dass aufgrund der vielen Diebstähle in der Vergangenheit die Kirche auch untertags zugesperrt werden müsse. Es sei ein Drama für die Pilger, aber so sei es eben. Sie habe zudem gehört, dass 2 Herbergen in Le Puy-en-Velay bereits voll belegt seien. Ich hatte sie gar nicht danach gefragt - mir gefällt diese Nachricht aber naturgemäß nicht. Andererseits ist Le Puy sehr groß und es wird dort ganz bestimmt eine Vielzahl an Schlafplätzen geben. so laufe ich nicht ganz so besorgt weiter. Auf Schneepfaden und Asphaltstraßen wandere ich voran, bin dabei aber nicht sonderlich schnell. Eine große Pilgergruppe überholt mich, als ich einen Rast mache. Sie sind sehr nett und bieten mir heißen Tee an. Ein Pilger der Gruppe will mich mit einer jüngeren Mitpilgerin bekannt machen - ich flüchte. Nach nicht allzu langer Zeit erreiche ich den Weiler Raffy. Mit 1276 Metern befindet sich dort auch der höchste Punkt der Via Gebennensis. Nach weiteren gut 2 Stunden erreiche ich den Ort St-Julien-Chapteuil. Das schlechte Wetter lässt mich dort aber nicht lange verweilen - der Schneefall ist sehr stark. Und so muss ich auch die von der Weite beeindruckend auf einem Hügel thronende Kirche St. Julien ohne Besuch stehen lassen.

Bei Schneefall passiere ich St-Julien-Chapteuil
Ein besonders erhebendes Gefühl war es, als ich den "Montjoie" (deutsch Berg der Freude) erreiche. Die 722 Meter hohe Erhebung ist eine Art Monte de Gozo von Le Puy-en-Verlay. Denn von diesem Punkt aus bekommt man erstmals einen tollen Blick auf die prachtvolle Pilgerstadt. Ich habe des Öfteren gelesen, dass es auf dem Camino zu Situationen kommen kann, in denen man nicht mehr ganz Herr seiner Emotionen ist. Ich hatte in diesem Augenblick eine solche Situation. Ich war müde und mir war kalt, ich war dennoch auch froh und zuversichtlich - eine wilde Mixtur unterschiedlichster, um nicht zu sagen auch sich scheinbar ausschließender Emotionen. Seit einem knappen Monat folge ich nun bereits meinem Camino. Er soll mich an ein großes Ziel bringen. Dieses Ziel ist jedoch noch gute 1600 Kilometer weit entfernt. Andererseits hatte ich mit der Ankunft in Le-Puy nun aber auch schon rund 800 Kilometer hinter mich gebracht. Also ziemlich genau jene Länge, die man von den Pyrenäen aus bis nach Santiago de Compostela brauchen würde. Müdigkeit, Dankbarkeit, Freude und viele andere Emotionen flossen in diesem Moment durch meinen Körper. Es ist schwer zu beschreiben was mit mir in diesem Moment passierte. Ich blieb einige Minuten im strömenden Regen stehen und starrte ungläubig auf Le Puy hinüber. 

Ein erloschener Vulkan kurz nach St-Julien-Chapteuil
Nachdem ich mich gefasst hatte wollte ich möglichst schnell das Stadtzentrum erreichen und eine Herberge suchen. Rund 8 Kilometer sollten es bis dahin noch sein. Und der Weg sollte sich dann tatsächlich noch sehr ziehen. Als ich spät Abends (es war wohl bereits nach 18:00) vor der Kathedrale Notre Dame im Zentrum Le Puys stehe, regnet es nach wie vor in Strömen. Ich suche die Jugendherberge auf. Sie ist wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Da ich sehr erschöpft war und großen Hunger hatte, setzte ich mich in eine Kebab-Bude und esse etwas. Es sollte mir jedoch nicht sonderlich gut schmecken, was weniger am Essen, denn am noch nicht vorhandenen Schlafplatzes für heute Nacht lag.  

Ich verlasse die Kebabbude und laufe orientierungslos durch die verregnete Altstadt Le Puys. Ich weiß heute nicht mehr, was ich in diesem Moment gehofft hatte, zu finden. Mir war wieder einmal schmerzlich bewusst, dass ich auf mich allein gestellt war. Niemand würde mir eine einfache Lösung präsentieren. Ich musste es wie immer selbst in die Hand nehmen. In meiner größten Verzweiflung rufe ich in einer Telefonzelle die erste Telefonnummer in meinem nun zum Zug kommenden Rother-Führer an (den ich ja nun ab Le Puy auch verwenden kann). Eine freundliche Frauenstimme am anderen Ende der Leitung mein sofort, dass natürlich noch ein Platz für mich vorhanden sei. Die Herberge sei in unmittelbarer Nähe zur Kathedrale, sie würden mich dort erwarten. Ich war überglücklich! So einfach kann die Welt sein! Als ich die Herberge finde, werde ich überaus freundlich empfangen. Mir wird sogleich eine Tasse Tee angeboten. Ich werde gefragt, ob ich noch was essen möge. Hier fühl ich mich wohl! Ich bin nicht der einzige, der so spät Abends noch in der Herberge eintrifft. 2 junge Franzosen (im Anzug!) kommen auch noch hinzu. Die freundliche Dame schaut etwas verwirrt, als sie den letzten Stempel von Saint-Jeures begutachtet. Ich hatte dort den Stempel erst heute Morgen kurz vor meinem Aufbruch eintragen lassen und so musste sie dasselbe Datum noch einmal eintragen. Ich weiß nicht, ob sie einen düsteren Verdacht hegte, ich könnte kein "seriöser" Pilger sein. Ich kann mir das aber eigentlich nicht wirklich vorstellen - hatte ich doch schon so viele Pilgerstempel gesammelt und meine bisher geleisteten Kilometer müssten eigentlich unumstritten gewesen sein. Zudem hätte sie es in meinen Augen sehen müssen. 28 Tage Pilgerschaft machen müde - auch oder vor allem im Kopf. Ich erhalte meinen Stempel und Madame erzählt mir noch irgendetwas von einem "Créanciale", einer Art Credencial für besonders fromme Pilger, die - wie im übrigen auch die "normalen" Credencials - in der Sakristei der Kathedrale nach der Messe zu erhalten sind. Mein Französisch war leider nicht gut genug, um alle Dinge wortwörtlich zu verstehen. Ich würde es morgen einfach auf mich zukommen lassen und sehen, was sie wohl gemeint haben könnte. 

Auf einer Vulkannadel thront die Kirche
Saint-Michel-d´Aiguilhe
Ich wollte vor lauter Müdigkeit nur noch zu meinem Schlafplatz. Dies war aber gar nicht so einfach. Ich musste meinen Rucksack, Schuhe und Jacke in einer Zwischentreppe deponieren und durfte nur das Notwendigste in einer vorbereiteten Tragetasche mit nach oben zu meinem Schlafplatz nehmen. Vermutlich soll dies den hygienischen Zuständen der Herberge zugute kommen. Totale Sicherheit vor Läusen, Wanzen und Co. Mir gefiel der Gedanke nicht, meine Dinge unbeaufsichtigt zurücklassen zu müssen. Ich hatte während des Camino gelernt, gut auf meine Ausrüstungsgegenstände aufzupassen. Ohne sie würde ich nie in Santiago und Fisterra ankommen können. Etwas widerwillig akzeptiere ich natürlich und folge Madame in die Schlafräume. Ich bekomme eine Koje zugewiesen. So hatte ich also eigentlich überraschend viel Privatsphäre, wenngleich natürlich die "Türen" der Kojen nur lose Vorhänge waren. Zudem waren die Trennwände nach oben hin offen. Die Geräuschkulisse ringsum war also sehr wohl zu vernehmen. Nach dem Körperpflege und dem Schreiben im Tagebuch fiel ich dennoch sehr schnell in einen tiefen, erholsamen Schlaf. Was morgen passieren würde, wusste ich noch nicht. Madame machte mich bereits zu Beginn unseres Gesprächs darauf aufmerksam, dass um 07:00 in der Kathedrale eine Pilgermesse stattfinden würde. Ich hatte gar nicht groß die Möglichkeit danach zu fragen, ob ich noch eine weitere Nacht in der Herberge verbringen dürfte. Irgendwie war mir klar, dass dies hier nicht so sehr gewünscht war. Ich wusste, dass man auf dem Camino - außer bei Krankheit und höheren natürliche Gewalten, wie Sturm und Hagel - nur eine Nacht in einer Herberge verbringen darf: Zumindest in den kommunalen und kirchlichen Herbergen. Ich verstand das auch irgendwie. Ich wollte auch keinem anderen Pilger einen Schlafplatz wegnehmen. Aber ich war müde und hätte gerne einen Tag Pause gemacht. 

War ich in der Schweiz völlig alleine unterwegs, traf ich auf der Via Gebennensis maximal 20 andere Pilger, so war klar, dass Le Puy-en-Velay Startpunkt einer ungleich größeren Anzahl von Pilgern sein würde. Bei der Pilgermesse am folgenden Tag, solltes sich dies dann auch bestätigen....

Samstag, 27. April 2013

Tag 27: Les Sétoux – St. Jeures

Von Les Sétoux nach St. Jeures
Distanz: 36,8 KM
Unterkunft St. Jeures: Gîte d´étape L´Hirondelle

Der Camino präsentiert sich heute wieder in weißem Kleid
Er ist wieder da: der Winter. Und wie. Dicke Flocken fallen vom Himmel und färben die gesamte Umgebung in ein strahlendes Weiß. Francois verlässt mit mir gemeinsam die Herberge. Wir wünschen uns für unsere Wege alles Gute. Beide haben wir noch einen sehr langen Weg vor uns. Mit vollem Wintergewand mache ich mich wieder auf den Weg. Meine Ausrüstung ist top und so laufe ich motiviert durch die Winterlandschaft. Der ganze Tag soll heute bewölkt sein. Es schneit einmal stärker, gegen Ende dann schwächer. Zwei Pilgerinnen begegnen mir kurz vor Tence auf meinem Weg. Es könnten Tochter und Mutter sein. Die jüngere Frau trotzt dem Wetter und wandert mit kurzen Hosen. Die Herbere "La Petite Papeterie" sieht sehr schön aus. Trotz des schlechten Wetters will ich heute noch weiter kommen. Bis nach Le Puy, dem strahlenden Endziel meines ersten Pilgerdrittels ist es nun nicht mehr weit, vielleicht werde ich morgen schon dort sein können. 74 Kilometer in 2 Tagen müssten möglich sein. Ich fühl mich stark genug dafür, trotz des Wetterumbruchs.
Der Camino ist auch heute wunderschön
In Tence kaufe ich mir in einer Bäckerei ein Pizzastück und ein Schokocroissant. Die Gîte in St. Jeures schaut verlassen aus. Ich bin froh, als man mir um 17:30 dennoch die Türe öffnet. Ich bin wieder einmal der einzige Pilgergast. Die Hospitalera meint auch, dass das "Geschäft" alles andere als gut laufe. Ich antworte ihr nur, dass es vielleicht noch zu früh im Jahr sei. Ich erkundige mich nach dem in meinem gelben Heftchen beschriebenen einzigen Gasthaus des Ortes. Die Hospitalera mein nur, es sei inzwischen geschlossen. Leider bietet sie mir keine Alternative an. So esse ich Müsliriegel zu Abend. Nach gut 36 Kilometern durch Schneelandschaft nicht das, was ich mir erhofft hatte. Gestern hatte ich ein tolles Abendessen, dazu auch noch Gesellschaft. Heute bin ich dementsprechend gut gelaufen. Ich weiß nun definitiv, will ich gut laufen, muss ich meinem Körper auch das geben, was er dafür benötigt. ein Riegel als Abendessen ist da nicht optimal. Der Mann der Hospitalera macht mir aber immerhin noch Feuer im Kamin. Sie sind eh sehr freundlich zu mir - ich hab aber großen Hunger. Ich dusche lange, um die Kälte aus meinem Körper zu bekommen. Als ich mich recht schnell müde ins Bett lege, muss ich leider auch erkennen, dass mein Schlafsack ein wenig nass geworden ist. Ein schreckliches Gefühl, als ich mangels Alternativen hineinschlüpfe. Ich gab den Schlafsack immer noch in einen zusätzlichen Plastiksack. Der Rucksack war ja ohnehin vom Regencover geschützt. Trotzdem kam irgendwie Feuchtigkeit hinein. Im Zimmer ist es recht kalt. Heute hat mir der Camino trotz der schönen angezuckerten Landschaft seine harte Seite gezeigt. Aber ich will härter sein und das durchstehen! "Nur noch" gut 1600 Kilometer bis zur Apostelstadt. Ich schlafe mit Bildern von Le Puy in meinem Kopf (kenne die Stadt nur aus Bildern von Filmen und Büchern), sehr schnell ein.

Freitag, 26. April 2013

Tag 26: St. Julien-Molin-Molette – Les Sétoux

Von St. Julien-Molin-Molette nach Les Sétoux
Distanz: 25,1 KM
Unterkunft Les Sétoux: Gîte d´étape Le Combalou

Der Camino kurz nach St. Julien-Molin-Molette
Es war ein wunderschöner Abend gestern - allerdings spüre ich die Biere doch noch einigermaßen in meinem Kopf. Nach den letzten beiden Übernachtungen war ich einfach nur froh, so einen angenehmen Ort mit netten Menschen angetroffen zu haben. Laurent war natürlich längst bei der Arbeit, als ich aufwache. Ich laufe heute erst um 09:30 los. Im Stadtzentrum kaufe ich in einem kleinen Laden Proviant für den Tag ein. Vor einem Café treffe ich auf eine Frau, die sich als Ruth vorstellt. Sie kommt aus Zug in der Schweiz und wartet gerade auf ihren Mann Edi, der einen Pilgerstempel zu organisieren versucht. Ruth hat körperliche Probleme. Sie wollen diesmal die Etappe von Genf nach St. Jean bewältigen, also die Via Gebennensis. Edi soll bereits 71 sein, sie müssen aber scheinbar doch einigermaßen schnell sein und auch einige Kilometer Laufleistung schaffen. Sie sagen, dass sie am 17. April in Genf gestartet sein wollen. Ich lief  zum Vergleich am 18. von dort los. Ich werde von den beiden im Laufe meines Caminos wieder in diversen Pilgerbüchern lesen, denn sie waren auf wunderbare Art und Weise vor mir an manchem Ort. Das ist eigentlich völlig unmöglich, wenn sie wirklich alles zu Fuß absolviert haben wollen. Es muss mir einfach egal sein, was andere machen. Aber dass sie dann auch alles als selbst gelaufen hinschreiben, find ich eher weniger gut. Sie laufen doch für sich selbst, oder sollten dies zumindest tun. Sonst haben sie irgendetwas am Camino falsch verstanden, zumindest aus meiner Sicht.

Die Kirche in Les Sétoux
In Les Sétoux bin ich mit Francois im Zimmer. Der rüstige Franzose ist bestimmt schon Mitte 60 und läuft gerade von seinem Haus in der Bretagne bis nach Norwegen! Rund 2700 Kilometer in 3 Monaten will er laufen. Er erzählt mir auch, dass er heute 6 andere Pilger getroffen habe, die auf dem Weg nach Le Puy seien. Ich bin froh, dass es noch mehr so Verrückte auf dem Camino gibt :-) Er will, wenn ich es richtig verstanden habe, einer Klostereröffnung oder Ähnlichem beiwohnen. Jeder hat wohl einen anderen Grund, um auf den Camino zu gehen.
Das einzige Gasthaus hat irgendwie auch einen Bezug zu der Herbergsmutter. Dort habe ich mich nach meiner Ankunft auch angemeldet. Eine freundliche Dame meinte, dass die Zuständige später vorbeikommen würde, es aber keine Probleme mit der Übernachtung geben werde. Am Abend würde sie ein Pilgermenü für mich (uns) vorbereiten. Das passt mir sehr gut und so sitze ich am Abend mit Francois beim Abendessen. Es gibt eine Suppe, Fleischknödel mit Kartoffeln, grüner Salat, Baguette und einen Käsegang. Zum Nachtisch gibt es eine Vanillecréme mit Karamellsauce. Das Essen kostet 15€, die Übernachtung 14. Der rote Hauswein schmeckt mir nicht besonders, was aber egal ist. Ich freue mich über die Gesellschaft und die Geschichten von Francois. Er war jedoch leicht genervt, weil die Wirtin recht laut über SKYPE mit Verwandtschaft und Freunden kommunizierte und das inmitten in der Gaststube, was den Lärmpegel deutlich erhöhte. Francois und ich waren die einzigen Gäste. Allerdings sollte später noch eine größere Gruppe (eine Art Motorradrennstall) kommen. Wir erfahren auch, dass die Gruppe in derselben Herberge übernachten wird. Wir wissen, dass könnte in der Nacht zu Problemen führen und leider war es dann auch so. Die Gruppe feierte ziemlich rücksichtslos bis in die späten (frühen) Stunden. Wir erfahren auf Nachfrage von Francois, dass für morgen Schneefall angesagt ist. Ich kann das  noch nicht wirklich glauben. Nach dem Tagebuchschreiben geht es alsbald ins Bett. Die Herberge ist in sehr gutem Zustand und sehr sauber. Der Rotwein machte mich müde und so schlafe ich bald ein.

Donnerstag, 25. April 2013

Tag 25: Clonas – St. Julien-Molin-Molette

Von Clonas nach St. Julien-Molin-Molette
Distanz: 25,1 KM
Unterkunft St. Julien-Molin-Molette: Gîte Radio d´ici

Der Ort Chavanay und die Rhône
Ich habe sehr gut geschlafen, obwohl ich schon noch das ein oder andere Mal an den unfreundlichen Sohn gedacht hatte. Monsieur richtet mir ein Frühstück. Es gibt auch Käse. Ich stecke mir auch noch 2 Teebeutel ein. Ich gehe mit meinem Credential zum Anmeldungsbüro. Schnell wird mir das Credential gestempelt und die Rechnung ausgestellt. Ich traue meinen Augen nicht 52€ werden verlangt. Ich zahle, verberge aber meine Verwunderung ob des hohen Preises nicht. Auf dem Camino ist nichts umsonst, auch nicht scheinbare Freundlichkeit. Das habe ich bei den letzten beiden Unterkünften erfahren müssen.

Sie Sonne scheint heute heiß vom Himmel, erst gegen Abend ist der Himmel teilweise bewölkt. Der Camino sollte heute sehr unterschiedlich sein. Es gab sehr lange Asphaltstraßenabschnitte. Am Ende war es aber wieder wunderschön. Speziell der Ort rund um St. Blandine, wo auch eine sehr schön wirkende Herberge steht, war wunderschön.

Die Kirche in Bessey
Heute tat ich mir sehr schwer. Eigentlich bereits den 2. Tag hintereinander. Ich war sehr froh, als ich nach 18 Uhr in St. Julien-Molin-Molette kam. Dank einer Gruppe Einheimischer fand ich die Herberge sehr schnell. Von außen sah sie alles andere als einladend aus. Als ich das Gebäude betrete finde ich eine offene Wohnungstüre vor. Musik ist zu hören und ein etwas untersetzter Mann kommt mit einem Grinsen auf mich zu. Es ist Laurent kurz Lolo genannt, der gerade dabei ist eine Bar in seiner Wohnung zu errichten. Er zeigt mit das Pilgerzimmer - ich bin der einzige Gast am heutigen Abend. Lolo ist sehr nett, was nach den vergangenen beiden Abenden eine Wohltat ist. Uneigennützig schenkt er mir ein Leffe ein. Ein belgisches Spitzenbier nach einem sehr langen Pilgertag - das tut gut! Es wird nicht das letzte Bier des Tages gewesen sein. Lolos Sohn Demian kommt auch vorbei. Da mein Hunger groß ist gehe ich in die Pizzeria der Stadt und bestelle für uns drei 2 Pizzen. Inzwischen ist auch "Seb" da, ebenfalls ein Bewohner des Hauses. Er ist Musikproduzent und sehr nett. Mit meinen rudimentären Französischkenntnissen kann ich mich recht gut verständlich machen, wenngleich ich dem Dialog der beiden Franzosen nicht folgen kann. Aber es ist gemütlich, Bier, Pizza und Musik im Hintergrund. Lolo meint, ich solle einen Tag in St. Julien bleiben, da er morgen eine Party gebe. Ich überlege kurz, komme aber zu dem Schluß, dass ich noch nicht einmal ein Drittel meines Weges hinter mich gebracht habe und lehne dankend ab. Ich muss fokusiert bleiben - das Ziel ist klar und noch unendlich weit weg. ich kann nicht jetzt schon alle meine Vorsätze über Bord werfen. Nach einigen Bieren verabschiede ich mich gegen 23:30 von Lolo und Demian und gehe endlich duschen und meine Kleider waschen. Vor lauter Freude über nette Menschen hatte ich nach meiner Ankunft völlig darauf vergessen.

Mittwoch, 24. April 2013

Tag 24: Pommier-de-Beaurepaire - Clonas

Von Pommier-de-Beaurepaire nach Clonas
Distanz: 40,3 KM
Unterkunft Clonas: Camping des Nations

Frühlingshaft ging es heute weiter
Ich hatte wie ein Stein geschlafen. Die über 46 Kilometer gestern forderten ihren Tribut. Ich fühlte mich trotz der vielen Stunden Schlaf total gerädert. Das Frühstück interessierte mich nicht sonderlich. Es war viel zu kalt in der Gartenhütte.  Zudem hatte der Besitzer der Gartenhütte, Herberge möchte ich sie gar nicht nennen, das Frühstück bereits am Vorabend vorbereitet. Man kann sich vorstellen, wie sich dies speziell auf die Milchprodukte wie Butter und Joghurt auswirkte. Irgendwie machte sich in mir das Gefühl breit, dass es dem Herbergsbesitzer nur um´s Geldverdienen geht. Und daher machte ich mich um ca. 08:00 wieder auf den Weg. Das Wetter war nach wie vor hervorragend schön. In Pommier - de - Beaurepaire besorgte ich mir nach kurzem Anstieg mein Frühstück. Es gab Marillenplunder und Eistee. Leider ist die Kirche S. Romain et St-Antoine mit den bekannten Glasfenstern geschlossen. So bleibe ich nicht lange in dem kleinen Ort. An einem herrlichen Aussichtspunkt mache ich Pause und genieße das Panorama.

Der Camino zeigte sich heue von der besten Seite
Ich entscheide mich dafür, heute in Clonas beim Campingplatz zu bleiben. Ein älteres Ehepaar, gerade in einem Gespräch vertieft spricht mich an. Es sind die Besitzer des Campingplatzes. Sie erklären mir, dass sie soeben einen Campingwagen fertiggestellte hatten und ich dort nächtigen können. Sie wirken sehr nett. Ich dusche in den Campingplatz-Sanitäranlagen. Alles ist relativ sauber. Ich wasche meine Kleider und hänge sie auf eine Wäschespinne. Es gibt noch Sonnenschein, sie dürften heute gut trocknen können. Die Besitzer fragen mich, ob sie was für mich kochen sollen. Ich habe großen Hunger. Die rund 40 Kilometer heute hatten mich sehr viel Kraft gekostet. 2 Tage hintereinander solch ein Pensum sind wohl (noch) zu viel.

Dienstag, 23. April 2013

Tag 23: Valencogne – Pommier-de-Beaurepaire

Von Valencogne nach Pommier-de-Beaurepaire
Distanz: 46,4 KM
Unterkunft Pommier-de-Beaurepaire: Le Mas Surchardon (Maison Poncet)

Die Kirche in Valencogne
Gut schlief ich vergangene Nacht sicher nicht. Die unfreundliche Art der Hospitalera, die im Grunde gar keine Pilger bei sich aufnehmen will, stößt mir heute noch sauer auf. Gerade wenn man körperlich Anstrengendes vollbringt, kann man solche emotionalen Spitzen nicht wirklich gut vertragen. Widerwillig marschiere ich in den Frühstücksraum, nachdem ich meinen Rucksack gepackt hatte. Madame scheint ihr gestriges Fehlverhalten leid zu tun, sie ist freundlich und schafft es sogar zu lächeln. Ich bin nicht wirklich auf Versöhnung aus heute - ich möchte sie spüren lassen, wie unangebracht ihr Verhalten war. Bei Sonnenschein mache ich mich wieder auf den Weg. Ich wusste nicht, wo sich Michael aufhalten würde - aber ganz bestimmt ist er auch diesmal wieder irgendwo untergekommen, auch ohne Geld. Heute traf ich auch einige Pilger auf meinem Weg, zunächst ein älteres Paar aus Potsdam. Sie hatten mit Lisa in der kommunalen Herberge in Charly übernachtet. Ich hatte also einen ganzen Tag auf sie aufgeholt. Sie genossen gerade eine Jause unter einem Baum. Ich richtete ihnen - wie Lisa versprochen - die schönen Grüße aus. Sie freuten sich und boten mir Baguette und Käse an. Von mir bekamen sie zwei Karamel-Schokoriegel. Ich ging dann aber relativ schnell alleine weiter. Sie meinten noch, wir würden uns sicher bald wiedersehen. Ich wusste dass dies nicht sehr wahrscheinlich bis unmöglich war, ich war inzwischen läuferisch viel zu stark für sie. Da sie auch erst in Genf gestartet sind, war ich einfach schon trainierter. Dennoch nickte ich und ging wieder meines Weges. Ich traf sie auch tatsächlich nicht mehr. Meine Tagesleistung wurde immer größer. Die Kilometer wurden immer mehr, mein Tempo immer schneller. Auch 3 deutsche Pilgerinnen aus dem Schwabenland wurden von mir überholt, als sie vor einer Kirche Pause machten. Ich sollte später dann noch 3 Pilger aus Fribourg und eine fünfköpfige Frauengruppe aus dem Allgäu überholen. 13 Pilger an einem Tag - nachdem ich in der Schweiz keinen einzigen Pilger angetroffen hatte, nimmt es hier geradezu beängstigende Formen an :-) 

In Faramans angekommen, hatte ich mich um eine Unterkunft zu kümmern. Um die 40 Kilometer hatte ich bereits hinter mir - ich war müde und die Sonne wurde auch allmählich schwächer. Ich fand eine Telefonzelle, von wo aus ich bei einer Herberge anrief, die eine gute Stunde nach Faramans sein sollte. Ich bekam Gott sei Dank gleich eine Zusage. Ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass dort nur Platz für 2 Pilger sein würde. Zudem handelt es sich nicht um ein Haus im eigentlichen Sinn, sondern mehr um ein kleines Gartenhaus, wo 1 Stockbett aufgestellt wurde. Der Besitzer kam mir nach einer knappen Stunde mit dem Auto entgegen und wollte mich mitnehmen. Ich lehnte ab. Auch meinen Rucksack wollte ich ihm nicht mitgeben. Ich war Pilger und wollte die ganze Strecke laufen und auch alle meine Sachen mit meinem eigenen Körper bis nach Santiago und weiter bis ans "Ende der Welt" tragen. Ich wusste, dass ich mich heute an den Grenzen des Körperlichen bewegte. Wahrscheinlich wäre im Nachhinein betrachtet Faramans der bessere Ort für die Übernachtung gewesen.

Aber so erlebte ich einen sensationell schönen Sonnenuntergang in fantastischer Landschaft. Ein Meer von Rapsfeldern umgab mich, als die orange Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand. Ich fühlte mich so frei wie noch nie in meinem Leben. So lange und so weit laufen wie es mir mein Körper vorgibt. Zielstrebig weiter in Richtung Westen. Als ich schon im Dunkeln ankam, servierte mir der Besitzer des Gartenhauses Pasta mit Rührei. Seine Freundlichkeit war sicher da, allerdings ist bei ihm nichts umsonst. Alles wurde später fein säuberlich verrechnet. Ein Kühlschrank war in der Unterkunft ebenfalls vorhanden, wo man Bier und andere Getränke gegen Bezahlung raus nehmen konnte. Nach über 46 Kilometern Laufleistung gönnte ich mir das ein oder andere Bier. Dusche und WC waren im Freien und hatten keine komplette geschlossene Türe. So warm wie mir heute im Laufe des Tages auch war, jetzt fror ich doch einigermaßen. Die Beschreibung der heutigen Unterkunft soll nur deswegen so detailliert sein, damit nicht der Anschein geweckt wird, dass nicht jeden Tag nur schöne Unterkünfte und  nette Hospitaleros anzutreffen sind. Eine Hand voll Unterkünfte würde ich im Nachhinein nicht mehr aufsuchen und demzufolge auch nicht weiterempfehlen. In den letzten beiden Tagen hatte ich wohl einfach nur Pech.

Montag, 22. April 2013

Tag 22: Saint-Maurice-de-Rotherens – Valencogne

Von Saint-Maurice-de-Rotherens nach Valencogne
Distanz: 30,4 KM
Unterkunft Valencogne: Gîte Étape Le Brocard

La Petite Halte in Grésin
Ich hatte keinen "blöden Kopf" heute Morgen. Der französische Wein muss einfach top sein :-) Es gibt ein einfaches Frühstück. Ich unterhalte mich noch ein wenig mit der Hospitalera. 25 Euro zahlte ich heute für die Übernachtung mit Frühstück. Der Camino führt mich zur Kirche St. Maurice. Leider ist das Gotteshaus geschlossen. Das Radiomuseum Galletti ist auch gleich daneben. Kurz nach Grésin, das eine schöne Kirche hat, kommt eine kleine Pilgerstation. Eine verschmuste, komplett zutrauliche Katze liegt auch davor auf der Straße und döst vor sich hin. Ich bediene mich beim Pilgerstempel. Auch Jakobsmuscheln gäbe es zu kaufen. Ein Spendenglas steht daneben. Ich denke an Lisa und dass sie sich hier auch eine Muschel für ihren Rucksack kaufen kann. Ich trage mich noch im Pilgerbuch ein und hinterlasse Grüße für die mir bekannten Pilger die hinter mir laufen.

Multicoraler Camino
Fast aus dem Nichts leuchtet es auf einmal blau - der "Blaue Michael" kommt strammen Schrittes hinter mir her. Ich hörte seine Stöcke schon von weitem. Er erzählt mir, dass er in der zweiten Herberge in Saint Maurice gratis untergekommen sei. Die Herberge war auch deutlich teurer als meine. Der Mann hat einfach Glück - ich bin es ihm nicht neidisch. In St. Genix sur Guiers finden wir ein Einkaufszentrum, um unseren Proviant aufzufüllen. Da Michael aber ja kein Geld hat, kaufe ich ein, frage ihn aber auch, ob er auch was will. Vor meinen Augen dort zu betteln, wollte er dann doch auch nicht. Beim nächsten gemeinsamen Rast teilte ich aber ohnehin alles mit ihm, was ich bei mir hatte. Wir liefen bis Valencogne gemeinsam. Es ergaben sich gute, tiefgehende Gespräche, wenngleich mir seine Anschauungen bis zuletzt etwas dubios erschienen.


Der Camino vor Valencogne
Michael und ich besuchen noch gemeinsam die Kirche im Zentrum des kleinen Ortes. Er beschließ, bei privaten Pilgerfreunden unterzukommen. Mir sind die Herbergen lieber, da kann ich auch für mich alleine sein und muss mich nicht unterhalten, wenn ich nicht will.  Ich verabschiede mich mit einem "bis bald" bei ihm, im festen Glauben, ihn sicher bald wiederzusehen. Es war jedoch das letzte Mal, dass ich den "Blauen Michael" auf dem Camino treffen sollte. Es kommen und gehen Pilger auf dem Camino. Mit manchen verbringt man etwas mehr Zeit, als mit anderen, so ist es eben. Obwohl Michael seine Pilgerschaft komplett anders angelegt hat als ich, so bin ich doch für die paar Male, in denen er mir von sich und seinen Sichtweisen erzählt hat, sehr dankbar. Ich bin sicher, dass er bis nach Santiago gekommen ist, falls dies denn sein letztendlicher Plan war. Nicht jeder wird ihn sehr willkommen geheißen haben, so völlig ohne Geld und nur auf Almosen hoffend. Er war mein erster Pilgerkontakt auf den letztendlich 77 Pilgertagen auf meinem Camino - allein schon deswegen werde ich ihn nicht vergessen.
 

Die Église St. Jean l´Evangéliste in
Valencogne
Die Entscheidung, die Herberge zu wählen, war leider die falsche. Das passiert leider hin und wieder und im Nachhinein ist man immer klüger. Die Türe war geöffnet, als ich dort ankomme. Ich denke mir, dass die Hospitalera wohl erst später kommen wird, da niemand da zu sein scheint. Ich gebe meinen Rucksack in das erstbeste Zimmer und gehe Duschen. Ein Mann kommt in das Zimmer und fragt, ob ich hier schlafen würde. Ich versuche ihm mit meinem bescheidenen Französisch zu erklären, dass ich Pilger bin, hier schlafen möchte, aber die Hospitalera noch nicht antreffen konnte. Der Mann ist sehr nett und meint, dass er in das Nachbarzimmer gehen werde. Ich denk mir nicht sehr viel dabei. Als ich hinausgehe um im Zentrum des Ortes nach einer Telefonzelle und vielleicht einen Gasthaus zu suchen, stehen 2 jugendliche Mädchen unten. Sie schauen mich verwundert an, ich grüße nur. Als ich schon fast im Zentrum bin, höre ich es hinter mir schreien. Ich blicke mich um, kann aber nicht wirklich was erkennen. So laufe ich weiter Richtung Zentrum. Kurz danach geht alles ganz schnell. Ich höre ein Auto von hinten heranbrausen. Das Auto legt neben mir eine Vollbremsung hin. Eine sichtlich aufgebrachte Frau lässt das Fenster der Beifahrerseite hinunten und beginnt auf französisch in einem unglaublichen Tempo zu schimpfen. Die Schreierei ist nur schwer auszuhalten. Ich versuche zu beruhigen. Sie erklärt mir, dass das von mir bezogenen Zimmer reserviert gewesen sei, eben für den vorhin angetroffenen Mann. Ich versuche ihr mit ruhiger Stimme meine Situation zu erklären, dies scheint aber nicht wirklich von Erfolg gekrönt zu sein. So gehe ich zurück in die Herberge, wo Madame, ich würde sie eher "Die Furie" nennen am telefonieren ist. Vermutlich mit dem Mann, dessen Zimmer ich irrtümlich okkupiert hatte. Ich erklärte ihr, dass es mir komplett egal ist, welches Zimmer ich bekommen würde, außer dem Mann und seiner Frau war ich ohnehin der einzige Gast in der Herberge. So packe ich meine Sachen und komme in ein gänzlich unbeheiztes Zimmer. Nur das eine Zimmer war mit einem Heizungskörper versehen. Das wär mir auch noch egal gewesen, die Unfreundlichkeit der Hospitalera war mir aber gar nicht egal. Sie meinte auch noch, dass ich auch bei Privaten hätte schlafen können - sie will mich offensichtlich nicht als Gast haben und auch nichts mit Pilgern verdienen. So redete ich mit ihr bis zum Frühstück am nächsten Tag auch kein Wort mehr. Irgendwann schien sie etwas besänftigter zu sein, es war für mich aber zu spät. Zumindest für heute. Wie einen kleinen Schulbuben hat sie mich zusammenstauchen wollen. Ich erklärte ihr völlig ruhig, dass ich es nicht gewohnt bin, so angeschrien zu werden. Speziell nach einem langen und anstrengenden Tag ist man durchaus etwas dünnhäutiger, kann man solche Schreitiraden überhaupt nicht gut verkraften. Ich hoffe für die Männerwelt, dass diese Furie keinen armen Mann zu Hause hat, den sie so zusammenstauchen kann! 

Leider gab es weder Geschäft noch Gasthaus in dem kleinen Ort. So gab es Schokolade und Müsliriegel zum Abendessen. Leicht frustriert von der heutigen Begegnung mit der "Hospitalera" ging ich schlafen.


Sonntag, 21. April 2013

Tag 21: Montagnin - Saint-Maurice-de-Rotherens

Von Montagnin nach Saint-Maurice-de-Rotherens 
Distanz: 27,3 KM
Unterkunft Saint-Maurice-de-Rotherens: Gîte Domaine des Chamois´

Die heutige Etappe führte auch durch Weinberge
Als wir die Alte Mühle verlassen, winkt uns Pasquale noch hinter her. Die Herberge wird als eine der schönsten auf meinem Weg für immer in Erinnerung bleiben. Viel mehr Frankreich wie hier geht nicht - und ich liebe es! Lisa und ich laufen gemeinsam los. Wir wandern durch herrliche Weinberge. Kurz vor Yenne kommt während einer Pause ein bekanntes Gesicht dahergelaufen. Der einzige Pilger, den ich außer Lisa bis jetzt angetroffen habe: der Blaue Michael. Ich hatte Lisa von ihm erzählt - nun konnte sie sich selber von seiner Wahrhaftigkeit überzeugen. Nun heißt es zum 2. Mal von Lisa Abschied zu nehmen. Die Wienerin will heute hier übernachten. Auf einem Campingplatz ist ein größeres, permanentes Zelt aufgestellt. Ich begleite sie noch bis zum Tor des Platzes und verabschiede mich. Ich war heute erst knapp 11 Kilometer gelaufen. So sympathisch sie mir auch war, es hätte keinen Sinn gehabt, jetzt das Tempo eines anderen Pilgers annehmen zu wollen. Ich bin noch so unendlich weit weg von meinem großen Ziel und will nicht bereits nach 3 Wochen von meinem Ziel abrücken.

Auch durch Wälder führt die heutige Etappe
Ich besorge mir noch Proviant bzw. eigentlich mein Mittagessen. Ich hol mir einen Döner und 2 Dosen zu trinken. Der türkische Verkäufer hält mich für verrückt, als ich ihm erzähle, heute noch bis nach Saint Maurice de Rotherens laufen zu wollen. Irgendwie verunsichern mich seine Worte - aber was weiß der gute Mann schon von meinem Pilgeralltag und zu was ich nach 3 Wochen Training imstande bin? Mein Führer gibt zwei mögliche Varianten an. Ich entscheide mich ob der schon sehr fortgeschrittenen Stunde für jene, mit den weniger zu bewältigenden Höhenmetern. Es sind schöne Wanderwege die mich durch Weiden und Wälder führen. Ich bin während des ganzen Wegstückes mutterseelenallein. 2 Herbergen sind in dem 150 Einwohner zählenden Ort vorhanden. Ich entscheide mich für jene, bei der auch eine Bar vorhanden ist. Ich will heute trinken! Vor allem möchte ich mich mit den französischen Weinen intensiver auseinandersetzen.

Als ich zu der Herberge komme, "begrüßen" mich 2 Hunde. Da sie aber sehr klein sind, brauch ich keine Angst zu haben. Schlimmer als die eidgenössischen Hunde können die auch nicht sein! In der Bar ist ein wenig Betrieb. Auch Einheimische sind an diesem Sonntag Abend zugegen. ich frage ob sie ein Zimmer für mich haben, was sie bejaht. Madame möchte es mir gleich zeigen - ich will aber zuerst etwas trinken. Zuerst ein Banaché gegen den ärgsten Durst - heute rinnt es gut. Dann versuche ich mich bei diversen Hausweinen. Sie sind zum Teil aus dem Tetrapack, was mich zunächst doch einigermaßen irritiert. Allerdings schmeckten die Weißweine (ich mag die Roten nicht so gern) ganz hervorragend. Ich bekomme auch Liköre und Schnäpse aus der Region zu probieren. Die Leute in der Bar sind sehr nett, nur ein Franzose will partout nicht wahrhaben, dass ich nicht aus dem Land der Heidi mit dem Alpen-Öhi komme. Er sagt die ganze Zeit Heidi-Heido zu mir. Nachdem ich doch einiges getrunken hatte, ermahnt mich die Hospitalera - es ist Zeit für Pilger ins Bett zu gehen. Ich gehorche. Das Zimmer ist luxeriösest (nach Pilgermaßstäben). Ich hatte vor lauter Wein ganz vergessen etwas zu Abend zu essen. Egal, gute Nacht!

Samstag, 20. April 2013

Tag 20: Les Côtes – Montagnin

Von Les Côtes nach Montagnin
Distanz: 27,5 KM
Unterkunft Montagnin: Gîte d´étape Le Moulin
 
 
Die heutige Caminoetappe verläuft über
weite Strecken entlang der Rhône
Der Tag beginnt fantastisch. Lisa und ich bekommen ein tolles Frühstück. Im gemütlich warmen Haus lässt es sich sehr gut aushalten. Es muss aber weitergehen. Lisa will Gepäck nach Wien schicken - sie hat definitiv zu viele Dinge bei sich, der Rucksack ist viel zu schwer. Da laut Herbergsmutter in Seyssel eine größere Postfiliale ist, beschließt Lisa, dorthin zu wandern. Diese Variante ist auch im Führer beschrieben und daher sicher auch markiert. So verabschiede ich mich von der sympathischen Wienerin. Obwohl sie erste am Beginn ihres Camino ist, strahlt sie doch eine gewisse Selbstsicherheit aus. Sie wird, auch wenn sie noch kein klares Endziel im Kopf hat, bestimmt ihren Weg gehen. Relativ bald nach Les Côtes findet ein Berglauf-Event statt- Zahlreiche Sportler beiderlei Geschlechts laufen auf einem alles andere als einladend wirkenden Matschweg den Hügel hinauf. Die Regenfälle der letzten Zeit waren auf dem Weg deutlich zu sehen. Die Strecke verläuft direkt auch meinem Pilgerweg. Ich grüße jeden einzelnen der Sportler, keine Frage, sie leisten Großartiges. Da die meisten mit dem Atmen ohnedies schon Probleme haben, winken sie mir freundlich zu oder nicken. Sie haben mit einer Gestalt wir mir sichtlich nicht gerechnet. Ich versuche sie möglichst nicht zu stören und weiche wann immer es geht großräumig aus.

Das kleine Örtchen Chanaz
Der heutige Weg ist wunderschön, auch wenn das Wetter sehr bewölkt ist. Vor allem entlang der Rhône zu laufen gefällt mir sehr gut. In Étang Bleu kehre ich in dem Restaurant ein, das auch vom Führer empfohlen wird. Das Wirte-Ehepaar ist sehr nett. Wir führen ein gutes Gespräch. Sie erzählen mir von den Fröschen, die sie hier als Spezialität zubereiten würden. Sie wollen mit eine Kostprobe geben, die ich aber dankend ablehnen muss. Ich liebe es, Fremdartiges aus den Küchen dieser Welt zu probieren, bei Fröschen hört es bei mir aber auf. Ich bekomme aber auch eine regionale Schnaps-Köstlichkeit zu probieren. Ansonsten trank ich aber zwei Oranginas und einen Kaffee. Gestärkt ging es weiter bis nach Chanaz. Um kurz nach drei kam ich in dem kleinen Ort an. Chanaz hat einen schönen Mittelalterkern und liegt herrlich an einem Kanal. Ich hätte große Lust gehabt mit dem nach dem Ort benannten Ausflugsschiff eine Runde zu drehen. Ich wollte aber noch weiter gehen. Montagnin sollte heute noch erreichbar sein. Mein gelbes Heft riet empfahlt mir dort eine Herberge, die ich nicht verpassen wollte. Zudem war es auch einfach noch zu früh, um schon "Feierabend" zu machen. Ich fühlte mich körperlich stark und gut wie lange nicht und so konnte und wollte ich mich auch bis zu meinen neu erworbenen Grenzen fordern. Ich mache noch einen Abstecher zu der Kirche, die etwas am Ortsrand steht. Sie ist leider verschlossen. Auch der Supermarkt daneben hat geschlossen. So kaufe ich mir in einer kleinen Bäckerei im Zentrum noch 2 Oranginas und ein Croissant. An einer alten Mühle vorbei wandernd setze ich meine Reise fort. Ich treffe heute unterwegs auf keinen anderen Pilger. Um ca. 17.30 erreiche ich mein Etappenziel. Als ich die Herberge betrete, ist bereits eine andere Pilgerin da. Sie ist sehr freundlich und kennt sich offenbar in der Herberge gut aus. Sie erzählt mir, dass sie schon einmal hier genächtigt habe und die beiden Besitzer der Herberge ein sehr zuvorkommendes, nettes Paar sei. 

Künstler-Atelier und Pilger-Herberge in
einem: Die Gîte Domaine des Chamois´
Kurz nachdem ich mich auf der Couch etwas ausgeruht hatte stand auf einmal eine wohlbekannte Person vor mir - Lisa war auf einmal wieder da. So weit und lange wie heute ist sie bestimmt noch nicht gelaufen. Sie hatte eigentlich in Chanaz einen Herbergsplatz reserviert, wollte dann aber doch noch lieber weiterlaufen. Man merkt, wie müde sie nach der heutigen Etappe war. Platz gibt es in der Herbere mehr als genug. Neben einem 4-Bettzimmer gibt es auch noch Schlafplätze in einem mit einer Leiter erreichbaren Platz direkt unter dem Dach. Da die ältere Pilgerin sich dort schon eingerichtet hatte, nehme ich einen Platz im Zimmer. Dort ist das Rauschen des Baches und die Mechanik des großen Holzrades zu hören - heute würde ich herrlich schlafen. Pasquale und Etienne kommen bald und heißen uns sehr herzlich willkommen. Etienne ist Künstler, die Herberge dient im auch als Atelier. Er malt und restauriert auch Bilder. Einige Bilder sind in dem Raum auch aufgehängt. Auch kirchliche Motive sind zu sehen - er restauriert gerade einige ikonenhafte Gemälde. Wir bekommen ein herrliches Menü serviert. Es gibt Kartoffelsuppe mit Baguette, Hühnchen mit Tomatenpasta, einen Käsegang, sowie Birnen in einer Art Sirup zum Dessert. Zu Trinken gibt es einen Rotwein aus der Region. im Hintergrund läuft Edith Piaf - viel mehr Frankreich geht wohl wirklich nicht mehr - und es ist wunderschön!

Freitag, 19. April 2013

Tag 19: Charly - Les Côtes

Von Charly nach Les Côtes
Distanz: 31,4 KM
Unterkunft Les Côtes: Gîte d´étape l´Edelweiss

Bin heute sehr früh losgegangen. Michael schläft noch, als ich die Herberge verlasse. Das Wetter ist heute erstmals sehr schlecht. Es regnet von morgens bis abends. Die Stärke des Regens war gerade so, dass Regenhose und Regenhut in jedem Fall die richtige Entscheidung gewesen wären.
Der Regen war heute mein treuer Begleiter
Bereits um 16:00 hatte ich Desingy erreicht. Ich wollte noch weiterlaufen. Ich war dann sehr froh, als ich auf dem Weg auf der Höhe von Les Côtes ein Herbergsschild für die Gîte Edelweiss fand. Ich musste in das Zentrum des kleinen Dorfes wandern, um mich bei den "Herbergseltern" anzumelden. Madame war sehr freundlich und fuhr mich zu dem großen Herbergsgebäude. zuerst zögerte ich, da ich doch alles laufen wollte. Sie beruhigte mich aber, da ja das Frühstück morgen in ihrem Haus stattfinden würde und ich so ohnehin wieder alles laufen müsse. Das beruhigt mich. Es regnet immer noch sehr stark als wir bei der Herberge ankommen. Madame erzählt, dass noch eine andere Pilgerin bereits eingetroffen sei. Sie spreche sehr gut Französisch, sie glaube daher dass sie wohl aus Frankreich oder der Schweiz kommen müsse. Als Madame die Türe öffnet, steht plötzlich eine junge, blonde Frau vor uns. Es ist Lisa. Jene Lisa aus Wien, deren Eintrag im Pilgerbuch ich kurz nach Übertritt der französischen Grenze gelesen hatte. Wir verstehen und sehr gut. Ich war froh endlich unter eine heiße Dusche zu kommen und die nassen Kleider los zu sein. Da es in Les Côtes keine gastronomische Infrastruktur gibt, essen wir in der Herberge zu Abend, und zwar das, was wir noch in unseren Rucksäcken mit dabei haben: Schokolade und Traubenzucker. Auch ein Stück von der Kebap-Pizza vom Mittag ist noch da. Wir unterhalten uns sehr gut. Lisa ist von Genf aus aufgebrochen. Sie hatte ein Youtube-Video über die Via Gebennensis gesehen und deswegen beschlossen, hier starten zu wollen. Sie hat aber nicht das Ziel Santiago de Compostela, da sie irgendwann im Mai ein Treffen mit einer Freundin in Barcelona geplant hat. Ihr Rucksack ist viel zu schwer. Sie hat auch ein Zelt mit dabei. Letzte Nacht kam sie in einen furchtbaren Regen und so flüchtete sie heute in die Herberge, um ihre Sachen trocknen zu können. Sie beschließt, am folgenden Tag, einige Utensilien nach Hause zu schicken. In der riesigen Herberge gibt es neben unseren beiden, natürlich brav getrennten Schlafräumen noch unzählige andere Räume. Wir erkunden die Herberge ein klein wenig und finden prompt auch eine Couch und einen Fernseher. Wie wenig mir das Fernsehen die letzten 3 Wochen abgegangen ist! Dennoch schauen wir noch rund eine halbe Stunde lang eine französische Castingshow, ehe die Müdigkeit uns dann doch einholt und wir schlafen gehen. 

Donnerstag, 18. April 2013

Tag 18: Genf - Charly

Von Genf nach Charly
Distanz: 24,4 KM
Unterkunft Charly: Gîte d´étape communal Chez l´Odette


Jakobsmuschel an einer Genfer Hausfassade
Es geht nun also doch weiter. Meinen Füßen geht es zwar nicht besonders gut, aber irgendwie war in mir der Gedanke verhaftet, dass es in Frankreich wieder gut gehen würde. Der Nachtmarsch von Lausanne nach Genf steckt mir zwar immer noch in den Knochen/Füßen, der Ruhetag in Genf hat mir aber sehr gut getan. Ich passiere bei meinem Weg aus Genf auch das Wohnhaus Place du Bourg-de-Four 21, an dessen Fassade eine schöne goldene Jakobsmuschel aus dem Jahr 1631 abgebildet ist - dort war früher ein Sammelpunkt der Jakobspilger nach Santiago de Compostela. In Charrot würde ich die Eidgenossenschaft verlassen und französischen Boden betreten. Kurz vor der Grenzstelle gibt es eine Pilgerstelle. Pilgerbuch und -Stempel liegen auf. Neben den altbekannten Einträgen von Hans (aus Altheim) und Guido (aus Gossau) lese ich erstmals auch von Lisa aus Wien. Die wenigen Einträge im Pilgerbuch lassen jedoch darauf schließen, dass ähnlich wie bereits auch auf der Via Jacobi, die Via Gebennensis nicht von Pilgermassen überlaufen sein wird. Wann würde ich auf meinem Weg endlich erstmals einem anderen Pilger begegnen?

Markierungen in Frankreich
Ich hatte heute einige Kilometer am Asphalt zurückzulegen und es war relativ warm. Ich kam sehr gut voran. Die Markierungen in Frankreich waren komplett anders als jene in der Schweiz. Ich hatte nun nicht mehr nach gelben Tafeln mit einem weißen Vierer auf grünem bzw. blauen Grund zu suchen. In Frankreich war entweder die gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund zu sehen, oder aber auch die weiß-rote Wandermarkierung. Ab Le Puy-en-Velay ist der Jakobsweg dann bis Roncesvaux auch als Fernwanderweg GR (frz. sentier de grande randonnée) 65 bezeichnet. Eines vorweg: die Markierungen des Jakobsweges sind in Frankreich ebenso gut und durchgängig vorhanden, wie in der Schweiz. In Spanien ist es dann aufgrund der vielen gelben Pfeile und Jakobsmuschel-Symbole ohnehin nahezu unmöglich sich zu verlaufen. Die Markierungen in Frankreich sind lediglich ein wenig kleiner als in der Schweiz, man braucht daher vielleicht ein wenig mehr Konzentration während des Gehens. Übrigens sind die Jakobsmuscheln in Frankreich immer so zu interpretieren, dass man in Richtung des Muschelzentrums, also nicht in Richtung der Strahlen zu wandern hat. Relativ bald nach dem Grenzübergang erreiche ich Neydens. Dort konnte ich mich in einer Bäckerei noch mit Proviant eindecken. Mein Führer riet mir dies zu tun, sollte es dann doch für viele Kilometer (bis Frangy) keine Möglichkeit mehr dazu geben. 

Der Weg kurz vor Charly ist wunderschön
Über den Col du Mont-Sion erreiche ich Beaumont. Dort dient eine alte Käserei als Gîte d´Etappe. Es ist aber noch zu früh, um Feierabend zu machen, ich will noch weiter gehen. Vor der örtlichen Kirche, der Église St-Etienne steht eine recht große, leider bereits auch ein wenig ramponierte Jakobsstatue. Nachdem ich das ehemalige Kloster Chartreuse de Pomier erreicht hatte, verläuft der Jakobsweg über schöne, einsame Feldwege an Äckern und Wiesen vorbei, weiter. Keine Menschenseele sollte mir auf diesen Wegen begegnen.

Die Unterkunft meiner ersten Nacht in Frankreich:
Relais "Chez Odette"
Um ca. 16:00 erreiche ich die kommunale Herberge von Charly. Bei meiner Ankunft bei der Herberge bin ich alleine. Dei Türe steht offen. Eine Küche mit Aufenthaltsraum befinden sich im Erdgeschoß. Im 1. und 2. Stock sind je einige Matrazen ausgelegt. Im 1. Stock befindet sich zudem ein Bad. Eine tolle Einrichtung! Es bleibt nur zu hoffen, dass die ankommenden Pilger diese Herberge mit dem nötigen Respekt behandeln. Die Sonne scheint noch freundlich vom Himmel herab. Ich wasche nach dem Duschen meine Wäsche und hänge sie auch sogleich auf eine vorhandene Wäschespinne. Ich will die in unmittelbarer Nachbarschaft befindliche Kirche besichtigen. Die Türe klemmt. Eine junge Frau will mir helfen und ruft nach einer älteren Frau, die mit ihrem Ehemann vor dem Haus neben der Herberge sitzt. Mit einem gezielten Fußtritt öffnet Madame geschickt die Türe und führt mich sichtlich stolz in das Kircheninnere. Sie fragt mich, ob ich heute in der Herberge übernachten möchte. Ich nicke, worauf sie mich mit den "Herbergsregeln" vertraut macht. Ab 22:00 schließt die Herbergstür automatisch, man kann also nurmehr aus, nicht mehr eintreten. In der Küche sind Grundnahrungsmittel vorhanden, die man gegen eine freiwillige Spende nutzen kann, wie man will. In zwei in der Herberge angebrachten Briefkasten kann man die Nachtgebühr (10€) und das Geld für die verwendeten Nahrungsmittel einwerfen. Ich bedanke mich bei Madame und bringe ihr und ihrem Mann noch einige Schokolade-Ostereier aus der Schweiz. Sie freuen sich sichtlich darüber.

Im Zentrum von Charly
Ich setzte mich vor "meine" Herberge und beginne mein Tagebuch zu beschreiben. Nach wenigen Minuten kommt eine völlig blau bekleidete Gestalt auf mich zu. Der große Rucksack und die Kleidung lassen keinen Zweifel mehr offen - meine erste Pilgerbekanntschaft auf meinem Camino steht vor mir! Sofort wird mir klar - das muss der "Blaue Michel" sein. In der Pilgerherberge in Brienzwiler hatte ich von einem völlig in blau gekleideten, jungen Deutschen erfahren, der von München aus seinen Camino gestartet hatte. Er sei komplett ohne Geld von zu Hause aus aufgebrochen und sei komplett blau gekleidet. Ich freue mich über meine erste Pilgerbekanntschaft. Wir essen vor der Herberge sehr einfach zu Abend und reden über unsere Pilgererlebnisse.