Mittwoch, 22. Mai 2013

Tag 52: St. Jean Pied de Port - Roncesvalles

Von St. Jean Pied de Port nach Roncesvalles
Distanz: 24,9 KM
Unterkunft Roncesvalles: Albergue de la Colegiata

Vor dem Portal St. Jacques, einem Stadttor
in St. Jean Pied de Port
Es war eine recht erholsame Nacht. Der gestrige ruhige Tag hat mir sichtlich sehr gut getan. 2 Drittel meines langen Weges sind jetzt bereits hinter mir. Um mich herum jedoch ein Großteil der Pilger, die gerade erst ihren Camino beginnen. Teilweise sind die Anfangspilger noch an ihren neuen Kleidungsstücken und Ausrüstungsgegenständen zu erkennen. Sogar Preisschilder baumeln noch hin und wieder an den neuen Rucksäcken oder Regenjacken. Ich fühle mich mit meinen neuen Salomon startklar für die 3. finale Etappe. St. Jean ist wohl jener Ort auf dem Camino Francés, von dem aus sich die meisten Pilger auf den Weg nach Santiago machen (mit Ausnahme der Kurzpilger). Die Pyrenäen gilt es zu überwinden. Für viele sicher eine echte Herausforderung, ein echtes Highlight. Auch für mich. Ich würde nicht am ersten Tag gleich so eine strapaziöse Etappe haben wollen. Aber immerhin geht sie "nur" knappe 25 Kilometer bis zum fast standardmäßigen Etappenort Roncesvalles, dem ersten CF-Ort auf spanischem Boden. Manche Pilger starten diese Etappe auch erst kurz nach St. Jean, in Honto oder Orrison, um nicht alle Höhenmeter an einem Tag machen zu müssen. Oder aber auch einfach um dem Trubel in St. Jean entgehen zu können. Es ist jetzt Ende Mai und die Hauptpilgerzeit hat wohl voll eingesetzt. Aufgrund der Länge meines Unterfangens ging es sich aber zeitlich nicht anders aus, obwohl ich Hauptpilgerzeiten gerne vermieden hätte. Früher hätte ich ob der winterlichen Zustände in der Schweiz nicht aufbrechen können. Später wär es nicht besser geworden, da in Spanien sehr heiß.

Bodenmarkierung in St. Jean - von nun an
führen aber gelbe Pfeile nach Santiago
So passiere ich die "Port d´Espagne" und lasse mich von zahlreichen Pilgern aus dem kleinen St. Jean hinaustreiben. Daniel ist mit einer Gruppe bereits aufgebrochen. Er will um jeden Preis die Bergetappe bestreiten und das Val Carlos außen vor lassen - den Ratschlag der Pilgerinformation ignorieren. Ich liebe die Berge und klar - ich würde auch viel lieber über die Pyrenäen laufen, aber nicht wenn es zu risikoreich wird. Meine Entscheidung wird mir wieder einmal schnell durch meine eigene Unachtsamkeit abgenommen. Ich ließ die Abzweigung ins Val Carlos gedankenversunken unbeachtet hinter mir und laufe einfach daran vorbei. Ich schließe relativ schnell auf Daniel auf. Der 17-jährige Schweizer läuft mit 4 älteren Franzosen und einem Kanadier von der Herberge in Richtung Pyrenäen. Ich schließe mich an. Auch eine Gruppe von 4 älteren italienischen Pilgern ist unterwegs. Der Kanadier heißt Alex. Er ist vielleicht Anfang 20 und ist von Le Puy aus gestartet. Er ist also gerade bei der Hälfte seines Camino angelangt. Daniel, der von Genf aus gestartet ist, Alex und ich gehen ein ähnlich schnelles Tempo. Durch den gestrigen fast komplett freien Tag fühl ich mich sehr stark. Gehe ich ansonsten aufwärts eher langsamer, so geht es heute ungleich besser. Das Wetter ist heute zum vergessen. Es ist kalt und der Regen begleitet uns den ganzen Tag. Von einer schöne Aussicht in die Niederungen können wir also nur träumen. Dichter Nebel umhüllt uns. Ich denke an den verunglückten Brasilianer. Bei Nebel und keinen Bodenmarkierungen ist es wirklich ein wenig leichtsinnig, über den Berg gehen zu wollen. Wir sind aber nicht allein. Eine Vielzahl an Pilgern geht bei diesen widrigen Verhältnissen über den Berg nach Roncesvalles.

Noch 765 Kilometer bis zur Apostelstadt
Unterwegs treffen wir auf eine Ungarin. Ihr Name ist Vivi. Sie friert und wundert sich ob des Wetters. Als Ungarin hat sie mit den Bergen nicht viel zu tun. Sie hat viel zu wenig passende Kleidung dabei und moniert nur ständig, dass dies für Spanien doch nicht normal sein könne. ich gebe ihr mein Fließ. Sie ist dankbar. So gehen wir in der Vierergruppe immer weiter bergauf. Unterwegs gibt es einen kleinen improvisierten Stand. ein kleiner Bus mit einer kleinen aufgespannten Plane steht dort. Ein Mann verkauft dort heiße Getränke und lässt sie sich auch gut bezahlen. Ich "schmeiße" eine Runde Kakao bzw. Tee. Das unwirtliche Wetter lässt uns aber schnell weitergehen. Die letzten Schneefelder sind beinahe zur Gänze verschwunden, die Asphaltstraße ist ohnehin komplett frei. Wir kommen zum Rolandsbrunnen, der noch schnell für diverse Fotos herhalten muss. Kurz danach passieren wir die Staatsgrenze - nach 52 Tagen hatte ich nun endlich Spanien erreicht! Wir betraten die Region Navarra.
Vivi und Alex waren bereits deutlich von Wind und Wetter gezeichnet. Die Höhenmeter taten das Übrige dazu. Es galt schnell nach Roncesvalles zu kommen.
Lieb gewordene Symbole auf dem Weg
Die Wege durch die üppigen Eichenwälder waren sehr rutschig, es galt aufmerksam zu bleiben. Mit dem Profil meiner neuen Schuhe fühlte ich mich wieder sehr sicher bei meinen Schritten. Um kurz nach 13 Uhr hatten wir es dann geschafft: das Gemäuer von Roncesvalles lag vor uns. Vor der Anmeldung zur Pilgerherberge standen bereits zahlreiche Pilger. Ob der Größe der Herberge hatten wir aber wohl nichts zu befürchten. Die Anmeldungen liefen problemlos ab - dort ist man große Pilgermassen gewohnt. Bei mir wurde jedoch noch argwöhnisch gefragt, von wo aus ich gestartet sei, da kein Stempel von St. Jean in meinem neuen französischen Credential vorhanden war. Ich zeigte meinen vorigen Pilgerpass und bekam meine Bettenmarke, nachdem ich bezahlt hatte. Roncesvalles war mir sehr unsympathisch. Viel zu viele Pilger, zu wenig sanitäre Anlagen. Auch das Abendessen war eine Massenabfertigung. Man musste zuvor eine Reservierungsmarke lösen, ehe man dann unter 2 Terminen sein Essen vorgesetzt bekam. Es war alles andere als gemütlich. Man konnte nach dem Essen auch nicht sitzen bleiben, sondern musste der nächsten Runde von hungrigen gleich den Platz räumen. Aber wir konnten doch zuvor noch ein paar Bier trinken und uns mit anderen Pilgern austauschen. Der Kaffee war köstlich und kostete nun wirklich nurmehr ein Euro. Ich war in Spanien - große Dankbarkeit machte sich in mir breit - und Zuversicht, die Apostelstadt tatsächlich erreichen zu können. Es war kein Traum mehr - es ist möglich. Ich lebe einen Traum und jeden Tag komme ich ihm näher. Was für ein Privileg, diesen Weg gehen zu dürfen. Was für ein Privileg ihn gehen zu können.

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