Montag, 6. Mai 2013

Tag 36: Livinhac-le-Haute - La Cassagnole

Von Livinhac-le-Haute nach La Cassagnole
Distanz: 30 KM
Unterkunft La Cassagnole: Gîte /Chambre d´Hôtes Le Relais St-Jacques


Die Kirche in Livinhac-le-Haute
Um 06:30 wache ich auf - ein deutscher Pilger ging auf die Toilette und weckte mich dadurch. Ich wollte, ja musste mein Tagebuch in der Kapelle St. Roch holen. Umwege auf dem Camino sind besonders hart. Ich lasse meinen Rucksack noch in der Herberge und laufe den Berg wieder hinauf. In der Herberge gegenüber der Kapelle scheint noch alles zu schlafen. Ich öffne die Türe und sehe auch sogleich mein Tagebuch auf einer Kommode liegen. Bei meinem Eintreten erwacht eine junge Frau - vielleicht ist sie die Hospitalera - ich mache mit Händen und Füßen meine Absichten klar, sie nickt. Ich bedanke und verabschiede mich. Ich bin glücklich. Das Tgebuch ist mir sehr wichtig geworden. Es würde mir nach meiner Rückkehr gemeinsam mit den vielen Fotos helfen, meine lange Reise rekonstruieren zu können. Ich steige den Berg wieder ab. Als ich in der Herberge wieder ankomme, sind einige Pilger schon weg, andere richten sich gerade für deren Aufbruch her. Schon 2 Stunden auf den Füßen seiend pack ich meinen Rucksack und gehe los. Am Hauptplatz finde ich ein kleines Geschäft, in dem ich Proviant einkaufen kann. Ich komme auch bei der Herberge vorbei, wo ich gestern zum Abendessen zu Gast sein durfte. Der Hospitalero bietet mir sofort einen Kaffee und Frühstück an. Ich freue mich ob der Gastfreundlichkeit die mir entgegengebracht wird, lehne aber dankend ab. Ich verabschiede mich von allen Anwesenden und suche die erste Caminomarkierung, die mich aus der Stadt hinausführen würde. Es war auch das letzte Mal, dass ich Christina gesehen hatte.
 
Figeac "von oben"
In Figeac, einer wunderschönen Stadt mit mittelalterlichem Kern, besichtige ich die dortige Abteikirche Saint-Sauveur. Im Anschluss daran mache ich Mittagspause. In der Fußgängerzone im Zentrum der Stadt esse ich Pommes Frites und trinke Frucade. In einem Papierwarengeschäft konnte ich Postkarten und Briefmarken erwerben. Lediglich einen am Montag geöffneten Friseursalon konnte ich in dieser schönen Stadt leider nicht finden. Obwohl ich schon sehr müde war, wollte ich doch noch weiter bis La Cassagnole wandern. Mir sind kleinere Orte mit weniger Trubel einfach sympathischer als die großen Städte. Ich wandere über eine große Brücke aus Figeac hinaus. Es gilt zunächst, den Hausberg von Figeac, den "Cingle" zu besteigen. Freundliche Stadtbewohner bringen mich auf den richtigen Weg, als ich eine Markierung übersehe und in die falsche Richtung laufe. Ein riesiges Betonkreuz thront auf dem höchsten Punkt des 360 Meter hohen Berges. Ein wunderbarer Ausblick auf Figeac stellt sich ein. In weiterer Folge passiere ich über unangenehme Straßenverläufe ein großes Gewerbegebiet. Ich bin bereits sehr müde und die unattraktive Umgebung nervt mich. Zum Glück ist dies Gebiet relativ schnell passiert und ich wandere einer kleinen Straße entlang bis zu meinem heutigen Tagesziel: Le Relais St-Jacques in La Casagnolle.
 
Die Herberge Le Relais St-Jacques in La Cassagnolle
Die Herbere ist toll. Ein großer, freundlicher Garten empfängt die Pilger und Wanderer. Ein großer, schlanker Mann mit großem Bart kommt auf mich zu und heißt mich willkommen. Er heißt Jesus. Neben dem Wohnkomplex mit den Herbergsbetten gibt es auch ein Gebäude mit einem großen Speiseraum und unterhalb eine großzügig ausgestattete Küche mit großem Kühlschrank, wo man sich für 1 € pro Getränk bedienen kann. Ich trinke gerne ein Bier, mische es mit Zitronenlimonade. Neben mir sitzen 4 Elsässer und 1 Australierin. Die Elsässer würde ich bis Lauzerte immer wieder treffen, was mich auch etwas irritierte, weil sie eigentlich nicht so auf mich wirkten, als dass sie die gleichen Distanzen und das gleiche Tempo würden gehen können. Einmal gab die jüngere der beiden Frauen dann auch zu, dass sie einen Teil der Strecke „gesprungen“ sind, also unter Verwendung von Öffis einen Streckenteil hinter sich gebracht haben. Die Elsässer sprechen gut Deutsch. Das Gespräch ermüdet mich aber zunehmend. Die üblichen, ewig im Kreis drehenden Fragen werden wieder gestellt: woher kommst Du? Wie weit bist Du heute gegangen? Wohin gehst Du überhaupt? Und zu guter Letzt: Warum gehst Du den Weg? Ob die Menschen, welche so eine Frage völlig gedankenlos in den Raum werfen, tatsächlich eine ernsthafte und wohlüberlegte Antwort erwarten? Die Frage ist so schnell gestellt, die Antwort jedoch so unendlich schwierig…

Der Weg kurz vor La Cassagnolle
Als ich so um ca. 20:00 bereits im Bett beim Tagebuchschreiben bin, betritt eine junge, rothaarige Frau den Schlafraum. Jesus begleitet sie und erklärt ihr alles. Sie muss gerade erst angekommen sein. Wir kommen noch ins Gespräch. Sie hat Hunger, das Abendessen in der Herberge ist jedoch bereits vorüber. Ich biete ihr meinen letzten Flanpudding und eine Kinderschokolade an. Sie ist dankbar und freut sich sichtlich darüber. Ich erfahre von ihr, dass sie ihren Camino von Amsterdam aus gestartet ist - unglaublich. Sie ist die erste Person die ich auf meinem Weg treffe, die wie ich den Camino von zu Hause aus gestartet ist. 
 
Heute oder morgen ist Halbzeit auf meinem Camino. Unglaublich was ich in den letzten 5 Wochen alles erleben durfte...

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