Mittwoch, 12. Juni 2013

Tag 73: Salceda - Santiago de Compostela

Von  Salceda nach Santiago de Compostela
Distanz: 29,9 KM
Unterkunft Santiago de Compostela: Seminario Menor
 
Ein letzter "Beschützer" auf dem Camino
Am 73. Tag meiner Pilgerreise sollte ich mein großes Ziel - Santiago de Compostela - erreichen. Ich war irgendwie froh, nicht alleine dort ankommen zu müssen. Ich war lange genug alleine gelaufen - außerdem würde ich auf dem großen Platz vor der Kathedrale ohnehin auch noch Zeit für meine eigenen Gedanken haben. Wie reagiert man, wenn man knapp 2500 Kilometer zurückgelegt hat und dann an seinem Ziel ankommt? Ich hatte die Kathedrale schon so oft in meinen Träumen gesehen. Heute sollte ich es endlich real erleben können.

Wir frühstücken noch in der Herberge in Salceda ehe wir uns zu 5. auf die finale Etappe machen. Nicole begleitet uns auf unseren letzten rund 30 Kilometern. Wir hatten alle zusammen keine sonderlich gute Nacht gehabt. Harald flüchtete sogar ins Freie und suchte auf der Hollywoodschaukel noch nach ein paar Stunden Schlaf. In dieser Nacht taten sich übrigens überwiegend die weiblichen Pilger als Schnarch-Epizentren hervor. Ich war etwas nervös und hatte dadurch eine sehr unruhige Nacht. Heute wird ein großes Kapitel beendet. Ein großes und wichtiges Kapitel meines Lebens.
 
Die Straßen und Gassen Santiagos -
die Kathedrale kann nicht mehr fern sein
Der heutige Tag war stark bewölkt, die Sonne zeigte sich nicht. Wir schwiegen während des Großteils der Etappe. Jedem gingen viele Gedanken durch den Kopf. Der Höhepunkt und damit das unwiderrufliche Ende des Caminos rückt in unmittelbare Nähe. Wir frühstücken heute gleich 2 Mal. Es scheint fast so, als sei es eine Art Verzögerungstaktik. Oder aber es sollen die letzten Kilometer einfach noch genossen werden. Es passt aber gut so für mich. Um ca. 10:30 sitzen wir bei Empanadas und Bocadillos in einem Café. Viele andere Pilger tun es uns gleich. Es ist keine ausgelassene Stimmung. Ähnlich wie die Ruhe vor dem Sturm wirken die meisten Pilger eher nachdenklich, denn euphorisch. In der Pilgerherberge in Brienzwiler meinte Herbergsvater Christian, dass man die letzte Nacht auf dem Monte do Gozo verbringen sollte, um am nächsten Tag zeitig in der Früh vor den Touristenmassen in der Stadt in aller Ruhe ankommen zu können. Mir erschien der sicherlich gut gemeinte Ratschlag zu Beginn absolut einleuchtend. Es sollte sich bei uns halt einfach nicht so ergeben. Es macht einfach keinen Sinn, die Etappe künstlich noch einmal in zwei Teile zu schneiden.

Nach 73 Tagen war ich in Santiago de
Compostela angekommen
Kurz vor dem Monte do Gozo gibt es noch die letzte Pause vor dem Einzug nach Santiago. Burger und Cola sollen die letzten Kräfte für die Schluss-Kilometer freisetzen. Laut dröhnt spanische Popmusik aus dem krächzenden Lautsprecher. Wir bleiben nicht lange sitzen. Nahezu wortlos betreten wir den Freudenberg, der eigentlich ziemlich unspektakulär wirkt. Das Papstdenkmal ist - wie ich finde - eher hässlich denn mich erfreuend. Goldene Bodenmarkierungen zeigen uns den Weg ins Stadtinnere. Viele Pilger sind jetzt vor und hinter uns. Einige kommen an, andere verweilen oder verlassen die Stadt auch schon wieder. Große Freude, Dankbarkeit, aber auch Sprachlosigkeit und Traurigkeit machen sich in mir breit. Ein "Aprilwetter" der Gefühle quasi. Durch prächtige Gassen gelangen wir immer weiter ins Zentrum der Apostelstadt. Durch ein Stadttor, wo ein Dudelsack-Spieler die Menschen unterhält, kommen wir auf einen großen Platz. Ich registriere zunächst gar nicht, dass dies der Platz der Plätze in Santiago ist. Ich war angekommen! Stolz thront die Kathedrale vor mir. Ich hatte unzählige Bilder von dem Bauwerk gesehen, aber erst wenn man wirklich und wahrhaftig davorsteht, wird man so richtig in ihren Bann gezogen. Ich verließ meine Herde für einige Zeit. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich für mich war. Ich hörte aber keine Menschen mehr. Der Trubel vor der Kathedrale verschwand in einem Meer der Stille. Viele Bilder kamen in mir hoch. Von meinem Start aus dem kleinen noch im Winterschlaf versunkenen Feldkirch am Ostermontag, meiner Ankunft in Einsiedeln, meiner Niedergeschlagenheit in Genf, der Ankunft im großartigen Pilgerzentrum Le Puy, die Überquerung der Pyrenäen usw. Viele Gesichter begleiteten diese Gedanken. Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart kamen vor mein geistiges Auge. Ich war dankbar.

Während ich für mich alleine war, machten die anderen bereits Fotos für´s Erinnerungsalbum. Ich weiß nicht was in ihnen zum Zeitpunkt der Ankunft in der Apostelstadt vorgegangen sein mag.  

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